14. IX. 14
Warum aber die Polen u. Kleinrussen nicht eine Meuterei innerhalb des Regimentes veranstalten, gerade während der Schlacht, ist mir unerfindlich. Schließlich müßten sich die Soldaten, die den Untergang Rußlands wünschen, sagen, daß sie wahrscheinlicherweise auch einer feindlichen Kugel zum Opfer fallen können; wäre da nicht möglich, daß sich die Soldaten solcherart in dem Gedanken zusammenfinden, der Idee eines künftig zu befreienden Polen oder Kleinrußland 1 das Opfer zu bringen u. die eigenen An Fführer niederzuknallen, um den Preis, dann auch selbst niedergeknallt zu werden. Wenn es, wie ich höre, wahr ist, daß sich Trupps bis zu 25, vielleicht auch mehr, polnischen Soldaten nach gemeinsamer Vereinbarung unseren Soldaten ergeben, warum könnte die Vereinbarung nicht noch ein weit höheres Ziel sich setzen? Meines Erachtens liegt aber gerade hier die Wurzel des Uebels: Findig genug, um sich ohne Gefahr zu ergeben, ist der polnische, bezw. kleinrussische Bauer nicht tapfer genug, auch bei Gefahr dem Vaterland ein Opfer zu bringen. Die Polen u. Kleinrussen warten lieber, bis die Arbeit ei ndes Stärkeren ihnen die Frucht vom Baume schüttelt. *Sehr nachdrücklich lehrt die gegenwärtige Situation, daß so etwas wie ein Uebertritt zur deutschen Nation nach Analogie des Uebertritts zu einer anderen Religion erfunden werden müßte. Nur durch solchen Uebertritt könnte passiven Nationen noch geholfen werden. *{705} Mama fragt mich zum erstenmal nach der „ fremden Dame “, von der Frl. Klumak ihr offenbar erzählte. Ich versprach der Mama die Dame zu bringen u. damit wäre auch diese Etappe erreicht. *Zur Jause mit Dr. Moses Schenker u. Familie im Arkaden-Café. Das Caféhaus war von ostgalizischen Flüchtlingen der sogenannten „besseren Gesellschaft“ besetzt u. die unselig unerquickliche Athmosphäre jenes unseligen Striches drang in alle Mauerritzen. Aller polnisch fatale, durch ein ebenso fatales Judentum gebrochene Schein trat in Wort u. Haltung zutage. Orientalische Übertreibungen mit slavischen Phrasen gemischt – eine Welt ohne tieferen Sinn u. Halt, – glitten mir an Aug’ u. Ohr vorüber. Unselige Bilder meiner Jugendzeit, die sich so hilflos in jener Gegend abwickelten stiegen empor u. ich hatte Mühe sie damit niederzuhalten, was ich von u. unter Deutschen gelernt habe. Am allerwenigsten war von den Flüchtlingen natürlich jener hohe Patriotismus zu erwarten, der begriffen hätte, daß es um die Monarchie besser steht, wenn galizische Flüchtlinge in Wien weilen, als wenn Wiener Flüchtlinge in Ost-Galizien weilen müßten, wie das z. B. mit den Parisern in Ba uordeaux jetzt der Fall ist. 2 *Abends wusch ich mir sozusagen Galizien vom Leib, als ich mit Lie-Liechen in unser stilles Caféhaus ging u. dort so manchen trefflichen Aufsatz deutscher Blätter zu mir nahm. *BriefOJ 9/30, [5] von Frau Colbert mit dem sonderbaren Antrag, die ohnehin so karge Zahl der Stunden neuerdings auf die Hälfte zu reduzieren. Die Begründung in ihrem Briefe legt mir dringend die Vermutung nahe, daß es wieder nur ein Akt privaten Schmutzes ist, der zur Kenntnis des Mannes überhaupt nicht gelangt ist. So beruft sie sich z. B. auf die prekäre Situation des „Morgen s“, gibt aber wiederspruchsvoll [sic] genug auch schon im selben Briefe gleich wieder zu, daß sich inzwischen die Situation gebessert hat. Aehnliche Schachzüge erwarte ich noch von anderen Schülern, doch immer sich die Zukunft eben erst walten lassen. *Marpurg-Studien, besonders 1. Teil. 6 *{706} © Transcription Marko Deisinger. |
September 14, 1914.
Why Poles and Ukrainians are not organizing a mutiny within the regiment, precisely during the battle, is however a mystery to me. Ultimately the soldiers, who wish for the defeat of Russia, must tell themselves that they are more likely to fall victim even to an enemy bullet; would it not be possible for the soldiers to hit upon the idea of making the sacrifice for a Poland or Little Russia 1 in order to be freed in future, and shoot down their own leader, at the expense of then being shot down themselves. If it is true, as I hear, that up to 25 squads, perhaps even more, of Polish soldiers have surrendered to our soldiers by common agreement, why couldn't the agreement achieve a still far higher goal? As I see it, however, the root of the evil lies precisely here: while the Polish or Ukrainian peasant is sufficiently clever to surrender when he is not in danger, he is not brave enough to make a sacrifice for his country when his life is also at risk. The Poles and Ukrainians would prefer to wait until the work of someone stronger shakes the fruit from the trees for them. *The present situation teaches us very emphatically that something like a crossing over to the German nation would have to be invented by analogy with conversion to another religion. Only through such a conversion could passive nations still be helped. *{705} Mama asks me for the first time about the "unknown lady" about whom Miss Klumak apparently told her. I promised to bring the lady; and thus even this stage has been reached. *Afternoon snack with Dr. Moses Schenker and family in the Arkaden Café. The coffee house was occupied by East Galician refugees of the so-called "better class," and the unpleasant atmosphere of that unfortunate scene pervaded every crack in the walls. Every Polish-disastrous appearance, refracted through an equally disastrous Jewishness, manifested itself in word and demeanor. Oriental exaggerations mixed with Slavic expressions – a world without deeper meaning or stability – slid past my eyes and ears. Wretched images of my youth, as it unfolded so helplessly in that place, rose up; and it was difficult to suppress them with that which I learned from and among Germans. One could expect least of all from the refugees that lofty patriotism that would have understood that the monarchy is better off if Galician refugees have to remain in Vienna than if Viennese refugees had to spend time in East Galicia – as is currently the case, for example, with the Parisians in Bordeaux. 2 *In the evening I cleansed my body of Galicia, so to speak, when I went with Lie-Liechen to our quiet coffee-house and read through so many excellent articles from German newspapers. *LetterOJ 9/30, [5] from Mrs. Colbert with the strange petition to have the number of her lessons, in any event sparse in number, now reduced by half. The reason given in her letter compels me to suspect that it is again merely an act of private greed, one which has not in any way come to the attention of her husband. Thus for example she appeals to the precarious situation of Der Morgen , but in contradiction readily admits again in the same letter that the situation has meanwhile improved. I am expecting further similar chess moves from other pupils, who will however let the future govern their actions. *Study of Marpurg, especially the first part. 3 *{706} © Translation William Drabkin. |
14. IX. 14
Warum aber die Polen u. Kleinrussen nicht eine Meuterei innerhalb des Regimentes veranstalten, gerade während der Schlacht, ist mir unerfindlich. Schließlich müßten sich die Soldaten, die den Untergang Rußlands wünschen, sagen, daß sie wahrscheinlicherweise auch einer feindlichen Kugel zum Opfer fallen können; wäre da nicht möglich, daß sich die Soldaten solcherart in dem Gedanken zusammenfinden, der Idee eines künftig zu befreienden Polen oder Kleinrußland 1 das Opfer zu bringen u. die eigenen An Fführer niederzuknallen, um den Preis, dann auch selbst niedergeknallt zu werden. Wenn es, wie ich höre, wahr ist, daß sich Trupps bis zu 25, vielleicht auch mehr, polnischen Soldaten nach gemeinsamer Vereinbarung unseren Soldaten ergeben, warum könnte die Vereinbarung nicht noch ein weit höheres Ziel sich setzen? Meines Erachtens liegt aber gerade hier die Wurzel des Uebels: Findig genug, um sich ohne Gefahr zu ergeben, ist der polnische, bezw. kleinrussische Bauer nicht tapfer genug, auch bei Gefahr dem Vaterland ein Opfer zu bringen. Die Polen u. Kleinrussen warten lieber, bis die Arbeit ei ndes Stärkeren ihnen die Frucht vom Baume schüttelt. *Sehr nachdrücklich lehrt die gegenwärtige Situation, daß so etwas wie ein Uebertritt zur deutschen Nation nach Analogie des Uebertritts zu einer anderen Religion erfunden werden müßte. Nur durch solchen Uebertritt könnte passiven Nationen noch geholfen werden. *{705} Mama fragt mich zum erstenmal nach der „ fremden Dame “, von der Frl. Klumak ihr offenbar erzählte. Ich versprach der Mama die Dame zu bringen u. damit wäre auch diese Etappe erreicht. *Zur Jause mit Dr. Moses Schenker u. Familie im Arkaden-Café. Das Caféhaus war von ostgalizischen Flüchtlingen der sogenannten „besseren Gesellschaft“ besetzt u. die unselig unerquickliche Athmosphäre jenes unseligen Striches drang in alle Mauerritzen. Aller polnisch fatale, durch ein ebenso fatales Judentum gebrochene Schein trat in Wort u. Haltung zutage. Orientalische Übertreibungen mit slavischen Phrasen gemischt – eine Welt ohne tieferen Sinn u. Halt, – glitten mir an Aug’ u. Ohr vorüber. Unselige Bilder meiner Jugendzeit, die sich so hilflos in jener Gegend abwickelten stiegen empor u. ich hatte Mühe sie damit niederzuhalten, was ich von u. unter Deutschen gelernt habe. Am allerwenigsten war von den Flüchtlingen natürlich jener hohe Patriotismus zu erwarten, der begriffen hätte, daß es um die Monarchie besser steht, wenn galizische Flüchtlinge in Wien weilen, als wenn Wiener Flüchtlinge in Ost-Galizien weilen müßten, wie das z. B. mit den Parisern in Ba uordeaux jetzt der Fall ist. 2 *Abends wusch ich mir sozusagen Galizien vom Leib, als ich mit Lie-Liechen in unser stilles Caféhaus ging u. dort so manchen trefflichen Aufsatz deutscher Blätter zu mir nahm. *BriefOJ 9/30, [5] von Frau Colbert mit dem sonderbaren Antrag, die ohnehin so karge Zahl der Stunden neuerdings auf die Hälfte zu reduzieren. Die Begründung in ihrem Briefe legt mir dringend die Vermutung nahe, daß es wieder nur ein Akt privaten Schmutzes ist, der zur Kenntnis des Mannes überhaupt nicht gelangt ist. So beruft sie sich z. B. auf die prekäre Situation des „Morgen s“, gibt aber wiederspruchsvoll [sic] genug auch schon im selben Briefe gleich wieder zu, daß sich inzwischen die Situation gebessert hat. Aehnliche Schachzüge erwarte ich noch von anderen Schülern, doch immer sich die Zukunft eben erst walten lassen. *Marpurg-Studien, besonders 1. Teil. 6 *{706} © Transcription Marko Deisinger. |
September 14, 1914.
Why Poles and Ukrainians are not organizing a mutiny within the regiment, precisely during the battle, is however a mystery to me. Ultimately the soldiers, who wish for the defeat of Russia, must tell themselves that they are more likely to fall victim even to an enemy bullet; would it not be possible for the soldiers to hit upon the idea of making the sacrifice for a Poland or Little Russia 1 in order to be freed in future, and shoot down their own leader, at the expense of then being shot down themselves. If it is true, as I hear, that up to 25 squads, perhaps even more, of Polish soldiers have surrendered to our soldiers by common agreement, why couldn't the agreement achieve a still far higher goal? As I see it, however, the root of the evil lies precisely here: while the Polish or Ukrainian peasant is sufficiently clever to surrender when he is not in danger, he is not brave enough to make a sacrifice for his country when his life is also at risk. The Poles and Ukrainians would prefer to wait until the work of someone stronger shakes the fruit from the trees for them. *The present situation teaches us very emphatically that something like a crossing over to the German nation would have to be invented by analogy with conversion to another religion. Only through such a conversion could passive nations still be helped. *{705} Mama asks me for the first time about the "unknown lady" about whom Miss Klumak apparently told her. I promised to bring the lady; and thus even this stage has been reached. *Afternoon snack with Dr. Moses Schenker and family in the Arkaden Café. The coffee house was occupied by East Galician refugees of the so-called "better class," and the unpleasant atmosphere of that unfortunate scene pervaded every crack in the walls. Every Polish-disastrous appearance, refracted through an equally disastrous Jewishness, manifested itself in word and demeanor. Oriental exaggerations mixed with Slavic expressions – a world without deeper meaning or stability – slid past my eyes and ears. Wretched images of my youth, as it unfolded so helplessly in that place, rose up; and it was difficult to suppress them with that which I learned from and among Germans. One could expect least of all from the refugees that lofty patriotism that would have understood that the monarchy is better off if Galician refugees have to remain in Vienna than if Viennese refugees had to spend time in East Galicia – as is currently the case, for example, with the Parisians in Bordeaux. 2 *In the evening I cleansed my body of Galicia, so to speak, when I went with Lie-Liechen to our quiet coffee-house and read through so many excellent articles from German newspapers. *LetterOJ 9/30, [5] from Mrs. Colbert with the strange petition to have the number of her lessons, in any event sparse in number, now reduced by half. The reason given in her letter compels me to suspect that it is again merely an act of private greed, one which has not in any way come to the attention of her husband. Thus for example she appeals to the precarious situation of Der Morgen , but in contradiction readily admits again in the same letter that the situation has meanwhile improved. I am expecting further similar chess moves from other pupils, who will however let the future govern their actions. *Study of Marpurg, especially the first part. 3 *{706} © Translation William Drabkin. |
Footnotes1 The term Kleinrussland was used in the Russian Empire as the principal name for the Ukrainian territory; its inhabitants were known as "little Russians." In the late 19th century the Ukrainian national movement began popularizing the "Ukraine" as the name of the country; it was the Bolsheviks, however, who officially did away with the term "Little Russia" and authorized the new name. 2 At the beginning of the First World War the French government temporary relocated to Bordeaux from Paris. 6 Schenker owned four works by Friedrich Wilhelm Marpurg – Handbuch bey dem Generalbasse und der Composition, 3 vols (Berlin 1757–1762), Anleitung zur Singcomposition (Berlin 1758), Versuch über die musikalische Temperatur (Breslau 1776), and Abhandlung von der Fuge (Leipzig 1806); see Musik und Theater enthaltend die Bibliothek des Herrn † Dr. Heinrich Schenker, Wien (Vienna: Antiquariat Heinrich Hinterberger, n.d.), items 184–187. The work in question here is probably vol. 1 of the Handbuch. |