19.

Expensennote von Dr. Groß wegen Mosio. — Einladung von Colbert zu einem sozialen Vortrag. — Floriz zu Tisch, im Caféhaus u. hernach am Klavier mit seiner neuen Violin-Suite. Noch immer ist er auch in dieser Arbeit derselbe geblieben: Nach einem kleinen Vorstoß, dem schon von Haus aus Züge schöpferischer Liebe leider nicht anhaften fehlen, sofortige Ermattung u. Unfreudigkeit. Selbst die Arbeit, die er hernach leistet, um gleichsam den Rückzug seiner geistigen Kräfte zu decken, nimmt unehrliche Züge an, da er nicht die geringste Mühe selbst nur auf den Schein wendet. Er läßt da die Nachlässigkeit genau so wie in der Sprache walten u. ist froh ein paar Takte einfach nacheinander gesetzt zu haben. Wie oft lag selbst in der Sphäre des Zuflickenden zu Flickenden Hilfe nahe – er selbst sah sie noch immer nicht!

So sehr es mich freute, ihm sehr wesentliche Dienste bei der Ausführung der leicht skizzierten Arbeit zu leisten, schmerzte es mich, daß das Schicksal mir nicht gegönnt hat auf dem eingeschlagenen Wege selbst konsequent fortzufahren!

*

{844} Bekenntnis (Von einem Arbeiter)

Immer schon haben wir eine Liebe zu dir gekannt,
Bloß wir haben sie nie mit einem Namen genannt.
Als man uns rief, da zogen wir schweigend fort,
Auf den Lippen nicht, aber im Herzen das Wort
Deutschland!

Unsre Liebe war schweigsam; sie brütete tief versteckt [recte tiefversteckt],
Nun ihre Zeit gekommen, hat sie sich hochgereckt.
Schon seit Monden schirmt sie in Ost u. West dein Haus,
Und sie schreitet gelassen durch Sturm u. Wettergraus,
Deutschland!

Daß kein fremder Fuß betritt [recte betrete] den heimischen Grund,
Stirbt ein Bruder in Polen, liegt einer in Flandern wund.
Alle schützen wir deiner Grenze heiligen Saum.
Unser blühendstes Leben für deinen dürrsten Baum,
Deutschland!

Immer schon haben wir eine Liebe zu dir gekannt,
Bloß wir haben sie nie mit einem Namen genannt.
Herrlich offenbarte es erst deine größte Gefahr,
Daß dein ärmster Sohn auch dein getreuester war.
Denk’ es, o Deutschland!

Aus dem „Simplizissimus“ Mitte Januar. 1

*

© Transcription Marko Deisinger.

19.

Invoice from Dr. Groß with regard to Mosio. — Invitation from Colbert to a social presentation. — Floriz at lunch, in the coffee house, and afterwards at the piano with his new violin suite. He remains the same, even in this work: after a short foray, from which traits of creative love are unfortunately absent, immediate exhaustion and dissatisfaction. Even the work that he accomplishes afterwards, as if to conceal the regression of his intellectual powers, takes on dishonorable characteristics, as he does not even take the slightest trouble even about the appearance. He then allows carelessness to reign, just as in language, and is happy to have simply strung together a few measures. However often help was to be found even in the sphere of mending, he himself still never saw it!

As much as it pleases me to give him very significant assistance in the realization of the lightly sketched work, it pains me that fate has denied me the occasion to proceed consistently myself along the path [which he has] taken!

*

{844} Confession (by a worker) We have always known a love for you,
We merely have never given it a name.
When we were called, we left in silence,
Not on our lips but in our hearts the word
Germany!


Our love was silent, it brooded deeply hidden,
Now that its time has come, it has stretched itself high.
Already for some months it shields your house in the East and West,
And strides serenely through storm and bad weather,
Germany!


So that no foreigner may step on your homeland,
One brother is dying in Poland, another lies wounded in Flanders.
We all protect the sacred seam of your border,
Our most flourishing life for your most withered tree,
Germany!


We have always known a love for you,
We merely have never given it a name.
Your greatest danger revealed only now,
That your poorest son was also your most faithful.
Think on it, o Germany!


From Simplicissimus , middle of January. 1

*

© Translation William Drabkin.

19.

Expensennote von Dr. Groß wegen Mosio. — Einladung von Colbert zu einem sozialen Vortrag. — Floriz zu Tisch, im Caféhaus u. hernach am Klavier mit seiner neuen Violin-Suite. Noch immer ist er auch in dieser Arbeit derselbe geblieben: Nach einem kleinen Vorstoß, dem schon von Haus aus Züge schöpferischer Liebe leider nicht anhaften fehlen, sofortige Ermattung u. Unfreudigkeit. Selbst die Arbeit, die er hernach leistet, um gleichsam den Rückzug seiner geistigen Kräfte zu decken, nimmt unehrliche Züge an, da er nicht die geringste Mühe selbst nur auf den Schein wendet. Er läßt da die Nachlässigkeit genau so wie in der Sprache walten u. ist froh ein paar Takte einfach nacheinander gesetzt zu haben. Wie oft lag selbst in der Sphäre des Zuflickenden zu Flickenden Hilfe nahe – er selbst sah sie noch immer nicht!

So sehr es mich freute, ihm sehr wesentliche Dienste bei der Ausführung der leicht skizzierten Arbeit zu leisten, schmerzte es mich, daß das Schicksal mir nicht gegönnt hat auf dem eingeschlagenen Wege selbst konsequent fortzufahren!

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{844} Bekenntnis (Von einem Arbeiter)

Immer schon haben wir eine Liebe zu dir gekannt,
Bloß wir haben sie nie mit einem Namen genannt.
Als man uns rief, da zogen wir schweigend fort,
Auf den Lippen nicht, aber im Herzen das Wort
Deutschland!

Unsre Liebe war schweigsam; sie brütete tief versteckt [recte tiefversteckt],
Nun ihre Zeit gekommen, hat sie sich hochgereckt.
Schon seit Monden schirmt sie in Ost u. West dein Haus,
Und sie schreitet gelassen durch Sturm u. Wettergraus,
Deutschland!

Daß kein fremder Fuß betritt [recte betrete] den heimischen Grund,
Stirbt ein Bruder in Polen, liegt einer in Flandern wund.
Alle schützen wir deiner Grenze heiligen Saum.
Unser blühendstes Leben für deinen dürrsten Baum,
Deutschland!

Immer schon haben wir eine Liebe zu dir gekannt,
Bloß wir haben sie nie mit einem Namen genannt.
Herrlich offenbarte es erst deine größte Gefahr,
Daß dein ärmster Sohn auch dein getreuester war.
Denk’ es, o Deutschland!

Aus dem „Simplizissimus“ Mitte Januar. 1

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© Transcription Marko Deisinger.

19.

Invoice from Dr. Groß with regard to Mosio. — Invitation from Colbert to a social presentation. — Floriz at lunch, in the coffee house, and afterwards at the piano with his new violin suite. He remains the same, even in this work: after a short foray, from which traits of creative love are unfortunately absent, immediate exhaustion and dissatisfaction. Even the work that he accomplishes afterwards, as if to conceal the regression of his intellectual powers, takes on dishonorable characteristics, as he does not even take the slightest trouble even about the appearance. He then allows carelessness to reign, just as in language, and is happy to have simply strung together a few measures. However often help was to be found even in the sphere of mending, he himself still never saw it!

As much as it pleases me to give him very significant assistance in the realization of the lightly sketched work, it pains me that fate has denied me the occasion to proceed consistently myself along the path [which he has] taken!

*

{844} Confession (by a worker) We have always known a love for you,
We merely have never given it a name.
When we were called, we left in silence,
Not on our lips but in our hearts the word
Germany!


Our love was silent, it brooded deeply hidden,
Now that its time has come, it has stretched itself high.
Already for some months it shields your house in the East and West,
And strides serenely through storm and bad weather,
Germany!


So that no foreigner may step on your homeland,
One brother is dying in Poland, another lies wounded in Flanders.
We all protect the sacred seam of your border,
Our most flourishing life for your most withered tree,
Germany!


We have always known a love for you,
We merely have never given it a name.
Your greatest danger revealed only now,
That your poorest son was also your most faithful.
Think on it, o Germany!


From Simplicissimus , middle of January. 1

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 Simplicissimus, No. 41, 19th year, January 12, 1915, p. 536.