11. VIII. 16
Der Regen, der die ganze Nacht über anhielt, hält auch tagsüber an. — *Görz wird von den Italiener besetzt! 1 — *An Breisach sen. K. mit Anfrage nach dem Befinden Pauls. — An Dr. Frimmel K; Dank für Sendung; 2 mußte sie leider „aufschlußreich“ nennen. — An Fl. Br. mit Wünschen für die nächste Zukunft im Sinne seiner Mitteilung. — An Fr. Deutsch K. mit Dank für Brief. Mitteilung, daß ich in absehbarer Zeit das Werk in die Druckerei wandern lasse. — An Wilhelm u. Mama je eine Karte mit Dank für Mitteilung. — An Frau Vrieslander Br. mit Erkundigung nach ihrem Gatten u. mit Frage, ob mein Bild angekommen ist. — An Weisse Br. mit allerhand Mitteilungen; daraus: „Sowie jeder Leser um seiner Eitelkeit willen, schon von Haus aus Gegner des Autors ist, den er liest, so lasse ich diesen geheimen Kriegszustand mir als {373} Wink für eine Kriegsregel gelten, wornach nun auch ich, der Autor, den Leser als meinen Feind wirklich behandle. Ich werbe nicht um die Gunst eines Feindes, sie ist mir Nebensache; ich werbe nur um die Sache, u. stellt sich der Leser, blos weil er als Feind des Autors unter allen Umständen aus Eitelkeit eine Rolle dem Autor gegenüber als dessen Feind spielen will, dazwischen, so schlage nach Kriegsbrauch lieber ich ihn nieder, ehe ich mich erschlagen lasse. Ich bin auch damit weiter gekommen.[“] — — An Direktor Altmann, kgl. Bibliothek, Berlin; ob dort das orig. Manuscript des Generalbaßbüchleins von J. S. Bach 3 vorhanden ist? — — Nachmittag bei Arbeit. „Wilhelm Meister“ VII. 3–4. 4 — Die Wiener Dame erklärt die Engländer für „vorbildlich“ weil – „sie sich waschen“! oOffenbar ist ihr Ees mehr um das englische Vorbild als um das Waschen selbst zu tun, da sie diese Mode ohne Zweifel leichter wohl auch schon aus der Heimat selbst beziehen könnte. — — Beim Nachtisch kommt eine kleine politische Diskussion in Gang, in der ich die Waffen noch schärfer als sonst schwinge, um die vor mir sitzenden Vertreter u. Vertreterinnen der sogenannten Gesellschaft für ihren Mangel an Patriotismus zu geißeln. Wagt doch die Frau eines deutschen Generalleutnants, so oft ich mein Urteil hart über die Engländer fällt, immer wieder eine ihre „nette Freundin“ in England zu zitieren, die gleichsam Wehr u. Schild der englischen Nation vorstellen soll! Ich gerate auf das Thema des Französisch- u. Englisch-sprechens u. geißle diese Unart der sogenannten guten Gesellschaft besonders drastisch durch den Hinweis, daß die Gesellschaft die Sprache nicht etwa wegen neu zu erwerbender Lektüre treibe, sondern nur um sich in Hotels mit Kellnern verständigen zu können. Man braucht ja nur die Bildung dieser Damen nachzuprüfen, um sogleich zu erkennen, daß das Wwenige, das sie allenfalls denken können, sich auch in der Muttersprache ausdrücken ließe u. es sei zu bedauern, daß in der Gesellschaft nicht einmal eine gute Kenntnis der eigenen Sprache verbreitet ist. Ich zitierte die bayrischen Prinzessinnen, die so schamlos waren, zu Beginn des Krieges im Saal, wo Charpie 5 gemacht wurde, französisch zu parlieren, als hätten sie Ge- {374} danken, die sich gerade nur französisch ausdrücken ließen , oder überhaupt nur Gedanken. Und um die Damen ganz an die Wand zu drücken, habe ich ohneweiters den Vergleich mit Köchinnen gebraucht, deren Bildungsgrad von den Damen der Gesellschaft sicher nicht übertroffen wird. Hierauf erhob sich die Frau des Generalleutnants u. verließ das Stübl, aber nicht ohne in flegelhafter Weise die Tür hinter sich zuzuschlagen! Eine echt englische Antwort, wo Worte u.der Bildung zur Entgegnung fehlten. Sie fühlte offenbar auch sich mit einer Köchin verglichen u. in ihrem angenommenen Charakter als einer Dame beleidigt, da ich sie. — — Nachmittags Generalbass-Vorarbeit beendet. — Mit Absicht ins Caféhaus. Wieder knüpft der alte Schwätzer, während seine Gattin noch abwesend war, ein politisches Gespräch mit mir an, das ich aber völlig ruhig, wenn auch wieder nicht ohne deutliche u. beleidigende Seitenhiebe führte. Auch nachdem die Gattin Platz genommen, konnte sie die Fortsetzung des Gespräches nicht mehr verhüten, was in ihr aber offenbar argen Verdruß erregte. Sie selbst sprach kein Wort mehr! — — Abends wurde überhaupt kein Gespräch mehr zwischen uns geführt! — *
© Transcription Marko Deisinger. |
August 11, 1916.
The rain, which had persisted throughout the night, persists also during the day. — *Gorzia is occupied by the Italians! 1 — *Postcard to the father of Breisach with a question about Paul's health. — Postcard to Dr. Frimmel I thank him for what he sent; 2 I must, unfortunately, call it "informative." — Letter to Floriz with best wishes for the near future as explained in his communication. — Postcard to Mrs. Deutsch with thanks for her letter. I tell her that I shall let the work find its way to the printers in the near future. — A postcard each to Wilhelm and Mama, with thanks for the communication. — Letter to Mrs. Vrieslander, asking after her husband and enquiring if my photograph has arrived. — Letter to Weisse with all sorts of communications, including: "Just as every reader, for sake of his vanity, is from the outset the opponent of the author whose work he is reading, I allow this secret state of war {373} as a hint to hold good for a rule of war, according to which I, the author, will actually treat the reader as my enemy. I am not concerned about the benefit of an enemy, I am only concerned with the matter; and if the reader interposes himself, because he wants to play the role of the author's enemy merely on account of his vanity in all cases, then I shall strike him down, as one does in war, before I am struck down. In taking this stance, I have made progress."— — To Director Altmann, Royal Library, Berlin; is the original manuscript of Bach's handbook on thoroughbass 3 accessible? — — In the afternoon, at work. Wilhelm Meister VII 3–4. 4 — The lady from Vienna declares that the English are "commendable" because – "they wash themselves"! For her, this evidently has more to do with the English role model than the washing itself; for she would doubtlessly find it easier to derive this fashion from her home country itself. — Over dessert, a short political discussion gets underway, in which I wield my weapons more keenly than usual, in order to castigate the representatives of so-called "society," who are sitting beside me, for their lack of patriotism. As often I pass judgment on the English with severity, the wife of a German lieutenant-general dares to quote repeatedly her "nice lady-friend" in England, who is supposed to represent a kind of spear and shield of the English nation! I get onto the subject of speaking French and English, and am particularly extreme in castigating this bad habit of so-called high society by noting that this society is not practicing these languages, say, to be able to acquire new literature, but only to make itself understood to hotel waiters. One need only consider the education of these ladies to recognize immediately that the little that they are at any rate able to think could also be expressed in their mother tongue, and that it is regrettable that, in society, not even a good knowledge of one's own language is cultivated. I quote the Bavarian princesses who, in a hall where charpie 5 was being produced at the beginning of the war, were brazen enough to chat in French, {374} as if they had ideas that could be expressed only in French. And to pin the ladies to the wall completely, I did not hesitate to make the comparisons with female cooks, whose level of education was surely not surpassed by the ladies of society. Thereupon, the lieutenant-general's wife got up and left the room, but not without slamming the door behind her in a churlish way! A typically English reply, where words or education were unavailable for opposition. She apparently felt insulted, in her assumed character of a lady, even to be compared to a cook. — — In the afternoon, preliminary work on thoroughbass finished. — Deliberately, to the coffee house. While his wife was still absent, the old windbag entered into a political discussion with me, which I conducted with perfect calm, without however refraining from clear and insulting sideswipes. Even after his wife took her place, she could no longer prevent the discussion from being continued, though it apparently aroused her great displeasure. She herself spoke not another word! — In the evening, no further conversation at all took place between us! — *
© Translation William Drabkin. |
11. VIII. 16
Der Regen, der die ganze Nacht über anhielt, hält auch tagsüber an. — *Görz wird von den Italiener besetzt! 1 — *An Breisach sen. K. mit Anfrage nach dem Befinden Pauls. — An Dr. Frimmel K; Dank für Sendung; 2 mußte sie leider „aufschlußreich“ nennen. — An Fl. Br. mit Wünschen für die nächste Zukunft im Sinne seiner Mitteilung. — An Fr. Deutsch K. mit Dank für Brief. Mitteilung, daß ich in absehbarer Zeit das Werk in die Druckerei wandern lasse. — An Wilhelm u. Mama je eine Karte mit Dank für Mitteilung. — An Frau Vrieslander Br. mit Erkundigung nach ihrem Gatten u. mit Frage, ob mein Bild angekommen ist. — An Weisse Br. mit allerhand Mitteilungen; daraus: „Sowie jeder Leser um seiner Eitelkeit willen, schon von Haus aus Gegner des Autors ist, den er liest, so lasse ich diesen geheimen Kriegszustand mir als {373} Wink für eine Kriegsregel gelten, wornach nun auch ich, der Autor, den Leser als meinen Feind wirklich behandle. Ich werbe nicht um die Gunst eines Feindes, sie ist mir Nebensache; ich werbe nur um die Sache, u. stellt sich der Leser, blos weil er als Feind des Autors unter allen Umständen aus Eitelkeit eine Rolle dem Autor gegenüber als dessen Feind spielen will, dazwischen, so schlage nach Kriegsbrauch lieber ich ihn nieder, ehe ich mich erschlagen lasse. Ich bin auch damit weiter gekommen.[“] — — An Direktor Altmann, kgl. Bibliothek, Berlin; ob dort das orig. Manuscript des Generalbaßbüchleins von J. S. Bach 3 vorhanden ist? — — Nachmittag bei Arbeit. „Wilhelm Meister“ VII. 3–4. 4 — Die Wiener Dame erklärt die Engländer für „vorbildlich“ weil – „sie sich waschen“! oOffenbar ist ihr Ees mehr um das englische Vorbild als um das Waschen selbst zu tun, da sie diese Mode ohne Zweifel leichter wohl auch schon aus der Heimat selbst beziehen könnte. — — Beim Nachtisch kommt eine kleine politische Diskussion in Gang, in der ich die Waffen noch schärfer als sonst schwinge, um die vor mir sitzenden Vertreter u. Vertreterinnen der sogenannten Gesellschaft für ihren Mangel an Patriotismus zu geißeln. Wagt doch die Frau eines deutschen Generalleutnants, so oft ich mein Urteil hart über die Engländer fällt, immer wieder eine ihre „nette Freundin“ in England zu zitieren, die gleichsam Wehr u. Schild der englischen Nation vorstellen soll! Ich gerate auf das Thema des Französisch- u. Englisch-sprechens u. geißle diese Unart der sogenannten guten Gesellschaft besonders drastisch durch den Hinweis, daß die Gesellschaft die Sprache nicht etwa wegen neu zu erwerbender Lektüre treibe, sondern nur um sich in Hotels mit Kellnern verständigen zu können. Man braucht ja nur die Bildung dieser Damen nachzuprüfen, um sogleich zu erkennen, daß das Wwenige, das sie allenfalls denken können, sich auch in der Muttersprache ausdrücken ließe u. es sei zu bedauern, daß in der Gesellschaft nicht einmal eine gute Kenntnis der eigenen Sprache verbreitet ist. Ich zitierte die bayrischen Prinzessinnen, die so schamlos waren, zu Beginn des Krieges im Saal, wo Charpie 5 gemacht wurde, französisch zu parlieren, als hätten sie Ge- {374} danken, die sich gerade nur französisch ausdrücken ließen , oder überhaupt nur Gedanken. Und um die Damen ganz an die Wand zu drücken, habe ich ohneweiters den Vergleich mit Köchinnen gebraucht, deren Bildungsgrad von den Damen der Gesellschaft sicher nicht übertroffen wird. Hierauf erhob sich die Frau des Generalleutnants u. verließ das Stübl, aber nicht ohne in flegelhafter Weise die Tür hinter sich zuzuschlagen! Eine echt englische Antwort, wo Worte u.der Bildung zur Entgegnung fehlten. Sie fühlte offenbar auch sich mit einer Köchin verglichen u. in ihrem angenommenen Charakter als einer Dame beleidigt, da ich sie. — — Nachmittags Generalbass-Vorarbeit beendet. — Mit Absicht ins Caféhaus. Wieder knüpft der alte Schwätzer, während seine Gattin noch abwesend war, ein politisches Gespräch mit mir an, das ich aber völlig ruhig, wenn auch wieder nicht ohne deutliche u. beleidigende Seitenhiebe führte. Auch nachdem die Gattin Platz genommen, konnte sie die Fortsetzung des Gespräches nicht mehr verhüten, was in ihr aber offenbar argen Verdruß erregte. Sie selbst sprach kein Wort mehr! — — Abends wurde überhaupt kein Gespräch mehr zwischen uns geführt! — *
© Transcription Marko Deisinger. |
August 11, 1916.
The rain, which had persisted throughout the night, persists also during the day. — *Gorzia is occupied by the Italians! 1 — *Postcard to the father of Breisach with a question about Paul's health. — Postcard to Dr. Frimmel I thank him for what he sent; 2 I must, unfortunately, call it "informative." — Letter to Floriz with best wishes for the near future as explained in his communication. — Postcard to Mrs. Deutsch with thanks for her letter. I tell her that I shall let the work find its way to the printers in the near future. — A postcard each to Wilhelm and Mama, with thanks for the communication. — Letter to Mrs. Vrieslander, asking after her husband and enquiring if my photograph has arrived. — Letter to Weisse with all sorts of communications, including: "Just as every reader, for sake of his vanity, is from the outset the opponent of the author whose work he is reading, I allow this secret state of war {373} as a hint to hold good for a rule of war, according to which I, the author, will actually treat the reader as my enemy. I am not concerned about the benefit of an enemy, I am only concerned with the matter; and if the reader interposes himself, because he wants to play the role of the author's enemy merely on account of his vanity in all cases, then I shall strike him down, as one does in war, before I am struck down. In taking this stance, I have made progress."— — To Director Altmann, Royal Library, Berlin; is the original manuscript of Bach's handbook on thoroughbass 3 accessible? — — In the afternoon, at work. Wilhelm Meister VII 3–4. 4 — The lady from Vienna declares that the English are "commendable" because – "they wash themselves"! For her, this evidently has more to do with the English role model than the washing itself; for she would doubtlessly find it easier to derive this fashion from her home country itself. — Over dessert, a short political discussion gets underway, in which I wield my weapons more keenly than usual, in order to castigate the representatives of so-called "society," who are sitting beside me, for their lack of patriotism. As often I pass judgment on the English with severity, the wife of a German lieutenant-general dares to quote repeatedly her "nice lady-friend" in England, who is supposed to represent a kind of spear and shield of the English nation! I get onto the subject of speaking French and English, and am particularly extreme in castigating this bad habit of so-called high society by noting that this society is not practicing these languages, say, to be able to acquire new literature, but only to make itself understood to hotel waiters. One need only consider the education of these ladies to recognize immediately that the little that they are at any rate able to think could also be expressed in their mother tongue, and that it is regrettable that, in society, not even a good knowledge of one's own language is cultivated. I quote the Bavarian princesses who, in a hall where charpie 5 was being produced at the beginning of the war, were brazen enough to chat in French, {374} as if they had ideas that could be expressed only in French. And to pin the ladies to the wall completely, I did not hesitate to make the comparisons with female cooks, whose level of education was surely not surpassed by the ladies of society. Thereupon, the lieutenant-general's wife got up and left the room, but not without slamming the door behind her in a churlish way! A typically English reply, where words or education were unavailable for opposition. She apparently felt insulted, in her assumed character of a lady, even to be compared to a cook. — — In the afternoon, preliminary work on thoroughbass finished. — Deliberately, to the coffee house. While his wife was still absent, the old windbag entered into a political discussion with me, which I conducted with perfect calm, without however refraining from clear and insulting sideswipes. Even after his wife took her place, she could no longer prevent the discussion from being continued, though it apparently aroused her great displeasure. She herself spoke not another word! — In the evening, no further conversation at all took place between us! — *
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 "Die Lage bei Görz," Neue Freie Presse, No. 18668, August 11, 1916, morning edition, p. 3. 2 Theodor v. Frimmel, "Neuigkeiten über Beethoven," Mödlinger Deutsches Wochenblatt, No. 32, August 6, 1916, 5th year, pp. 1-2. 3 Johann Sebastian Bach, Vorschriften und Grundsätze zum vierstimmigen spielen des General-Bass oder Accompagnement für seine Scholaren in der Music. 1738. 4 Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre (Wilhelm Meister's Apprenticeship), vol. 1, first published in 1795 (Berlin: Johann Friedrich Unger). 5 Charpie, or Scharpie: a material for dressing wounds, used until the beginning of the twentieth century, made by weaving cotton and linen threads together. |