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21. Wolkenlos des morgens, am Nachmittag ein wenig Regen u. abgekühlt.

— An Hans, Bielitz: 10 Kronen für Zigarren; berichtige das Brotgeld zugunsten der Sophie. —

— Internationalität des Proletariats im Grunde eine Tautologie, denn ohnehin bindet die Not Arm u. Arm in allen Ländern, wie umgekehrt der Reichtum entzweit. Wenn zu Beginn des Krieges der Einfluß des internationalen Proletariats auf den Reichtum nicht da war, so nur deshalb, weil der Arme ja jederzeit ohnmächtig bleibt. — Jeglicher Wert in der Kultur wird erst nur durch die Synthese festgestellt, daher so tragisch zu sehen, wie der Rohstoff der Völker mögliche Werte zer- {677} stört, noch bevor sie zu wirklichen Werten festgestellt worden sind. — Vom Zahlkellner ([in shorthand]?) 10 Trabuccos 1 angekauft um den Preis von 5 Kronen. — Mittelmann im Caféhaus, auf dem Wege zu Beethoven, dann u. zu dessen Mutter (nach in Lainz). Benimmt sich aber noch ungeschickt bei der Legitimierung. 2 — 3–4¼h bei Dodi; von ihr erfahren wir einige Nachträge zu Mozios Charakter. Noch Besonders interessanter war es uns zu hören, wie sie u. Tonschel so manchen Zug in Wilhelms Wesen unerträglich schmerzlich empfinden, so hart, daß ihnen beiden die Bezeichnung „Hund“ dafür am passendsten scheint. Sie behält sich vor, Mozio um Verwendung für Tonschel selbst anzugehen u. beide, Wilhelm u.wie Dodi, leiten schon jetzt aus Kautzen die Aktion des Umwerbens ein. — Abends bei Rothberger : er gibt unter anderem Angelis Urteile über Velasquez wieder, das, wenn die Wiedergabe richtig ist, darin gipfelt, daß V. alles u. jedes in seinem Werke aufs sorgfältigste bedacht habe. Nun, dieses Bedenken Tugend will aber sicher jeder Künstler genau so für sich selbst in Anspruch nehmen, wie er zugleich aber auch das Unbewußte des Schaffens betont. Wir verlieren uns in ein weitläufiges Gespräch darüber, dem ich die Pointe dahin gebe, indem ich erkläre, daß alles Schaffen so ebenso gut bewußt ist als im Uranfang auch unbewußt ist, daß aber eben nur das Genie allein eben die Gabe hat, gleichsam zugleich zu schlafen u. zu wachen, während die anderen entweder eben nur schlafen oder nur wachen. — An Schrader (Br.): das sein Eintreten für Marx bedürfe keiner Entschuldigung; dieserhalb verweise ich auf den Vorwurf des Kunstwart-Rezensenten, der mir einen Vorwurf wider Bülow unterstellt hat, als hätte ich seine Instinkte inferior genannt. 3 Und so erkläre ich an Schrader, daß ich eine solche Inferiorität bei Marx oder Bülow doch nur im Vergleich mit Beethoven, nicht aber mit Tieferstehenden behaupte, was aber einen großen Unterschied bedeute. Weshalb ich aber immer wieder gerade auf diesen Unterschied zurückkomme, hängt mit meiner Ueberzeugung zusammen, daß alles Heil lediglich von der Erkenntnis des Genies abhängt. Den Wilden mag überlassen bleiben, Europäer wie Götter anzubeten, die ein Zündholz vor {678} ihren Augen reiben, aber den Europäern selbst darf nur der Donner im Himmel imponieren. Schließlich wird ja heute bereits allgemein selbst von den Gegnern zugegeben, daß Bülow sich schwer an Beethoven vergangen, was man aber doch erst nur den Klarstellungen meiner Polemik zu danken gehabt hat. Erwähne schließlich, daß II2 fertig ist. — An Hupka (K.): wie es ihm gehe? —

© Transcription Marko Deisinger.

21. Cloudless in the morning; in the afternoon, a little rain and cooling off.

— To Hans in Bielitz: 10 Kronen for cigars; I correct the payment for the bread, in Sophie's favor. —

— "Internationality of the proletariat" is essentially tautological, since need always binds the poor together in all countries as, conversely, wealth creates division. If at the beginning of the war the influence of the international proletariat on wealth did not exist, that was only because poor people remain at all times powerless. — Every value in culture can be determined only by synthesis; it is therefore so tragic to see how the raw material of the people destroy possible values {677} even before they have been determined as being true values. — From the head waiter, 10 Trabuccos 1 purchased at a price of 5 Kronen. — Mittelmann at the coffee house, on his way to Beethoven, and his mother (in Lainz). But he still is behaving awkwardly with regard to his proof of identity. 2 — From 3 o'clock to 4:15 with Dodi; we get some further thoughts concerning Mozio's character. It was even more interesting for us to hear how she and Tonschl found so many traits in Wilhelm's nature unbearably painful – so severe that, for the two of them, the designation of "dog" seemed the most appropriate. She is counting on Mozio to offer his assistance to Tonschl; and the two of them, Wilhelm as well as Dodi, are initiating the action of wooing him. — In the evening, at Rothberger's: he repeats, among other things, Angeli's judgment on Velasquez which, if it has been transmitted correctly, culminates in the assertion that Velasquez conceived every single feature of his work in the most careful way. Now, this virtue is something that every artist will want to draw upon for himself, even if he emphasizes the unconscious aspect of creativity. We engage in a far-reaching discussion of this matter, to which I made a point of noting that all creativity is as conscious as it is likewise unconscious in its very earliest state, but that only the genius has the gift of appearing at the same time to lie asleep and be awake, whereas the others are either just asleep or just awake. — Letter to Schrader : his intervention in defense of Marx needs no apology; for this reason I refer to the criticism made by the reviewer in Der Kunstwart , who imputed to me a criticism made against Bülow, as if I had said that his instincts were inferior. 3 And so I explain to Schrader that I claimed such an inferiority on the part of Marx or Bülow only when compared to Beethoven, not with others of lower standing, which amounts to a great difference. Why, however, I return to this very difference, time and again, is connected to my conviction that all salvation is simply dependent upon the recognition of genius. The savages may be left to worship Europeans as if they were gods who strike a match before their eyes; {678} but to the Europeans themselves, only the thunder in the sky may impress. Ultimately it is generally recognized by now, even among my opponents, that Bülow treated Beethoven badly; but this is something for which one may be grateful only to the clarifications in my polemics. I mention, at the end, that the second volume of Counterpoint is finished. — Postcard to Hupka: how is he?

© Translation William Drabkin.

21. Wolkenlos des morgens, am Nachmittag ein wenig Regen u. abgekühlt.

— An Hans, Bielitz: 10 Kronen für Zigarren; berichtige das Brotgeld zugunsten der Sophie. —

— Internationalität des Proletariats im Grunde eine Tautologie, denn ohnehin bindet die Not Arm u. Arm in allen Ländern, wie umgekehrt der Reichtum entzweit. Wenn zu Beginn des Krieges der Einfluß des internationalen Proletariats auf den Reichtum nicht da war, so nur deshalb, weil der Arme ja jederzeit ohnmächtig bleibt. — Jeglicher Wert in der Kultur wird erst nur durch die Synthese festgestellt, daher so tragisch zu sehen, wie der Rohstoff der Völker mögliche Werte zer- {677} stört, noch bevor sie zu wirklichen Werten festgestellt worden sind. — Vom Zahlkellner ([in shorthand]?) 10 Trabuccos 1 angekauft um den Preis von 5 Kronen. — Mittelmann im Caféhaus, auf dem Wege zu Beethoven, dann u. zu dessen Mutter (nach in Lainz). Benimmt sich aber noch ungeschickt bei der Legitimierung. 2 — 3–4¼h bei Dodi; von ihr erfahren wir einige Nachträge zu Mozios Charakter. Noch Besonders interessanter war es uns zu hören, wie sie u. Tonschel so manchen Zug in Wilhelms Wesen unerträglich schmerzlich empfinden, so hart, daß ihnen beiden die Bezeichnung „Hund“ dafür am passendsten scheint. Sie behält sich vor, Mozio um Verwendung für Tonschel selbst anzugehen u. beide, Wilhelm u.wie Dodi, leiten schon jetzt aus Kautzen die Aktion des Umwerbens ein. — Abends bei Rothberger : er gibt unter anderem Angelis Urteile über Velasquez wieder, das, wenn die Wiedergabe richtig ist, darin gipfelt, daß V. alles u. jedes in seinem Werke aufs sorgfältigste bedacht habe. Nun, dieses Bedenken Tugend will aber sicher jeder Künstler genau so für sich selbst in Anspruch nehmen, wie er zugleich aber auch das Unbewußte des Schaffens betont. Wir verlieren uns in ein weitläufiges Gespräch darüber, dem ich die Pointe dahin gebe, indem ich erkläre, daß alles Schaffen so ebenso gut bewußt ist als im Uranfang auch unbewußt ist, daß aber eben nur das Genie allein eben die Gabe hat, gleichsam zugleich zu schlafen u. zu wachen, während die anderen entweder eben nur schlafen oder nur wachen. — An Schrader (Br.): das sein Eintreten für Marx bedürfe keiner Entschuldigung; dieserhalb verweise ich auf den Vorwurf des Kunstwart-Rezensenten, der mir einen Vorwurf wider Bülow unterstellt hat, als hätte ich seine Instinkte inferior genannt. 3 Und so erkläre ich an Schrader, daß ich eine solche Inferiorität bei Marx oder Bülow doch nur im Vergleich mit Beethoven, nicht aber mit Tieferstehenden behaupte, was aber einen großen Unterschied bedeute. Weshalb ich aber immer wieder gerade auf diesen Unterschied zurückkomme, hängt mit meiner Ueberzeugung zusammen, daß alles Heil lediglich von der Erkenntnis des Genies abhängt. Den Wilden mag überlassen bleiben, Europäer wie Götter anzubeten, die ein Zündholz vor {678} ihren Augen reiben, aber den Europäern selbst darf nur der Donner im Himmel imponieren. Schließlich wird ja heute bereits allgemein selbst von den Gegnern zugegeben, daß Bülow sich schwer an Beethoven vergangen, was man aber doch erst nur den Klarstellungen meiner Polemik zu danken gehabt hat. Erwähne schließlich, daß II2 fertig ist. — An Hupka (K.): wie es ihm gehe? —

© Transcription Marko Deisinger.

21. Cloudless in the morning; in the afternoon, a little rain and cooling off.

— To Hans in Bielitz: 10 Kronen for cigars; I correct the payment for the bread, in Sophie's favor. —

— "Internationality of the proletariat" is essentially tautological, since need always binds the poor together in all countries as, conversely, wealth creates division. If at the beginning of the war the influence of the international proletariat on wealth did not exist, that was only because poor people remain at all times powerless. — Every value in culture can be determined only by synthesis; it is therefore so tragic to see how the raw material of the people destroy possible values {677} even before they have been determined as being true values. — From the head waiter, 10 Trabuccos 1 purchased at a price of 5 Kronen. — Mittelmann at the coffee house, on his way to Beethoven, and his mother (in Lainz). But he still is behaving awkwardly with regard to his proof of identity. 2 — From 3 o'clock to 4:15 with Dodi; we get some further thoughts concerning Mozio's character. It was even more interesting for us to hear how she and Tonschl found so many traits in Wilhelm's nature unbearably painful – so severe that, for the two of them, the designation of "dog" seemed the most appropriate. She is counting on Mozio to offer his assistance to Tonschl; and the two of them, Wilhelm as well as Dodi, are initiating the action of wooing him. — In the evening, at Rothberger's: he repeats, among other things, Angeli's judgment on Velasquez which, if it has been transmitted correctly, culminates in the assertion that Velasquez conceived every single feature of his work in the most careful way. Now, this virtue is something that every artist will want to draw upon for himself, even if he emphasizes the unconscious aspect of creativity. We engage in a far-reaching discussion of this matter, to which I made a point of noting that all creativity is as conscious as it is likewise unconscious in its very earliest state, but that only the genius has the gift of appearing at the same time to lie asleep and be awake, whereas the others are either just asleep or just awake. — Letter to Schrader : his intervention in defense of Marx needs no apology; for this reason I refer to the criticism made by the reviewer in Der Kunstwart , who imputed to me a criticism made against Bülow, as if I had said that his instincts were inferior. 3 And so I explain to Schrader that I claimed such an inferiority on the part of Marx or Bülow only when compared to Beethoven, not with others of lower standing, which amounts to a great difference. Why, however, I return to this very difference, time and again, is connected to my conviction that all salvation is simply dependent upon the recognition of genius. The savages may be left to worship Europeans as if they were gods who strike a match before their eyes; {678} but to the Europeans themselves, only the thunder in the sky may impress. Ultimately it is generally recognized by now, even among my opponents, that Bülow treated Beethoven badly; but this is something for which one may be grateful only to the clarifications in my polemics. I mention, at the end, that the second volume of Counterpoint is finished. — Postcard to Hupka: how is he?

© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 "Trabucco": antiquated Austrian term for a certain kind of cigar.

2 Schenker encouraged Aaron Mittelmann to write the newspaper article "Der Letzte vom Stamme van Beethoven. Ein Besuch beim Urgroßneffen des Meisters," Neues Wiener Tagblatt, No. 166, June 19, 1917, 51st year, pp. 3-5. (See diary entry for May 10, 1917.)

3 Artur Liebscher, "Musikalische Urtextausgaben," Deutscher Wille des Kunstwarts, No. 14, April 1917, 30th year, pp. 82-84; a clipping is preserved in Schenker's scrapbook, OC 2/p. 52.