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OC 54/315 - Typewritten letter from Deutsch to Schenker, dated July 30, 1930
Ihren schönen und ausführlichen Brief vom 20. 2 werde ich leider nur kurz beantworten können. Ich bin doch geplagt hier. Und morgen fahre ich auf vier Tage zu den Meinen. Zunächst möchte ich einiges vorausschicken, was mir auf dem Herzen oder auf der Zunge liegt. Tomay hat, als ich ihm nach Ihrer Karte vom 23. 3 gleich anrief, mir gesagt, dass er eben am 24. drei Sätze abgeschickt hatte. Alle vier würden 50 bis 60 Seiten ausmachen, also wohl mehr, als Sie ursprünglich angenommen und ich dem DMV geschrieben hatte. Es hiess 28 doppelseitige Seiten Urlinientafeln und 7 Seiten (mit 26) Figuren, auch doppelseitig. 4 Dies aber nur wegen Roeders Kalkulation. Dem traurigen Költzsch 5 (ich liebe den Jungen ein wenig) lege ich zwei erfreulichere Benze bei, die ich zurückbitte. Ist unter Ihren Schülern in Wien einer, der eventuell für meinen Bruder, einen sehr geübten und begabten Pianisten, als Lehrer nach Frl. Schab, Steuermann etc. in Betracht käme? Er ist ein sehr beschäftigter Kaufmann, im Gegensatz also zu Brünauer. Ein Mann namens F. Kummer bearbeitete um 1836 Bs. 10. Quartett (op.74 in Es) als „Symphonie“. Die Sache wurde bei einer Akademie im Dresdener Hoftheater gespielt, in Wien mit einer Notiz abfällig erledigt, ist aber in Stich wohl nie erschienen. Es gab bess’re Zeit … Wichtiger für Sie kann aber sein: Die Sonate op. 22 erschien zuerst bei Hoffmeister & Co., wie ich festellte, dabb dann bei Hoffmeister & Kühnel, wie Nottebohm sagt, endlich bei Kühnel, wie Thayer meint. Das sind wohl Titelauflagen der Original-Ausgabe. Die nächste Auflage aber ist eine neue bei deren Nachfolger Peters, frühestens 1814 erschienen. Ich bemerkte das erst jetzt bei Hoboken, wo wir auch diese Auflage neben der Original von H. & Co. haben. Der Titel ist nämlich mit der Platte geblieben. {2} Ich kam darauf, als ich eine eben angebotene Ausgabe Jean Cappis, die niemand kannte, also einen Wiener Druck, mit beiden verglich. Er entspricht der Auflage Peters und nennt sich deshalb auch „2. Edition“. Ob die Abweichung beider – wie ich glaube, mehr schreibtechnischer Art – auf B. zurückgehe und welche (Peters oder Cappi) früher erschienen ist, kann ich noch nicht sagen. Jedenfalls scheint mir diese 2. Fassung, die sicher bei Lebzeiten Bs. erschien, Ihrer Beachtung sehr wert. Ich hoffe, wir kaufen auch die Ausgabe Cappi. B. schrieb im Spätherbst 1825 an Schott: „… Soll nichts zu erfinden sein, wenn man auf stereotypische Art sogleich seine Worte vervielfältigen könnte, ohne diese Griffel an Kopisten nötig zu haben …“ 6 Motto für Archiv oder Tomay? Ich empfehle Ihnen, sich nächstens einen Offenbach-Vortrag von K Kraus anzuhören. Womöglich zuerst eine Operette, die Sie gut kennen. Liegler, 7 einst sein, jetzt mein Freund, hat für die Lyrik ein System ausgedacht, das mir Ihrer Urlinie, von der er nichts wusste, zu entsprechen scheint. Ich möchte Sie zu seinem Nutzen einmal im Herbst mit diesem edlen, klugen Menschen (der einen schönen Kopf auf einen Höcker trägt) zusammenführen. Der Brief, wo angeblich Hoboken von seinem Glück auf Sylt schrieb, stammt von ihr, wie ich nachträglich bemerkte. Ich wunderte mich noch über die herzliche Ansprache … Und also fällt alles, was wir daran geknüpft haben, zusammen. Mit der Irre war es – natürlich wortwitzig – so gemeint, dass das neue Haus „an der Irre“ heisst, was Sie vielleicht gar nicht wussten. Nach dem Wasser dort. Und nun muss ich richtig abbrechen, bevor ich Ihren Brief eigentlich beantworten konnte. ich möchte Ihnen nächste Woche nochmals darüber schreiben. © Transcription William Drabkin, 2023 |
⇧ PROF. OTTO ERICH DEUTSCH VIENNA II Böcklinstraße 26 ⇧ July 30, 1930 Dear revered Dr. [Schenker], 1 I shall, unfortunately, be able to reply to your lovely and detailed letter of the 20th 2 only briefly. I have been swamped here. And tomorrow I am travelling to see my family. First of all, let me tell you what lies in my heart, or on my tongue. When, having received your postcard of the 23rd, 3 I immediately telephoned Tomay, he told me that he had just sent three movements to you on the 24th. All four would come to between 50 and 60 pages, that is somewhat more than you originally expected and what I put to Drei Masken Verlag in writing. There would be 28 double-sided Urlinie graphs and seven pages of figures (26 music examples), also two-sided. 4 But I’m saying this only on account of Roeder’s calculation. To the sad Költzsch 5 (I rather like the youngster), I am adding two more cheerful pieces by Benz, which I should like you to return. Among your pupils in Vienna, is there one who might possibly consider teaching my brother, a very experienced and gifted pianist, apart from Miss Schaab, Steuermann, etc.? He is a very busy merchant, in contrast to, say, Brünauer. A man by the name of F. Kummer arranged Beethoven’s tenth string quartet (Op. 74 in Eę) as a “symphony”. The piece was played at a concert at the Dresden Court Theatre and written off in a Viennese newspaper review; but it seems never to have appeared in print. Times were better … For you, this may be more important: the Sonata Op. 22 was first published by Hoffmeister, as I ascertained, then by Hoffmeister & Kühnel, as Nottebohm says, and finally by Kühnel, as Thayer says. These are probably reprints of the original edition. The next printing, however, is a new one, by the firm’s successor, Peters, and appeared in 1814 at the earliest. I noticed this only now, at Hoboken’s library, where we have this edition alongside the original edition of Hoffmeister & Co.: the title-page remained with the printing plate. {2} I came across it when I compared the two with another edition we have just been offered, and which no one knew, by Jean Cappi, thus a Viennese print. It derives from the Peters edition and for this reason is also designated as “2nd edition.” Whether the differences between the two (which I believe to be more of a writing-technical nature) derive from Beethoven, and which (Peters or Cappi) appeared earlier, I cannot yet say. In any event, this second version, which surely appeared during Beethoven’s lifetime, is very much worth your while studying. I hope that we shall also buy the Cappi edition. In the late autumn of 1825, Beethoven wrote to Schott: “… should there be nothing to discover, if his words could immediately be duplicated in a stereotypical way, without there being a need for this stylus of copyists …”: 6 a motto for the Archive or Tomay? I recommend that you listen to an Offenbach reading by Karl Kraus in the near future, starting if possible with an opera that you know well. Liegler, 7 once his friend and now mine, has conceived a system for poetry which seems to correspond to your Urlinie, of which he knew nothing. I should like to introduce you sometime this autumn – for his benefit – to this noble, intelligent person, who bears a beautiful head on a hunched [back]. The letter in which Hoboken wrote of his happiness on Sylt comes from his wife, as I subsequently observed. I was still wondering about the cordial [manner of] address … and so everything that we had attached to it falls into place. “Irre” – of course a play on words – referred to the fact that the new house is called “on the Irre,” after the body of water there, something which you did not at all know. And now I must interrupt myself, before I am able actually to reply to your letter. I should like to write to you about it again next week. © Translation William Drabkin, 2023 |
Ihren schönen und ausführlichen Brief vom 20. 2 werde ich leider nur kurz beantworten können. Ich bin doch geplagt hier. Und morgen fahre ich auf vier Tage zu den Meinen. Zunächst möchte ich einiges vorausschicken, was mir auf dem Herzen oder auf der Zunge liegt. Tomay hat, als ich ihm nach Ihrer Karte vom 23. 3 gleich anrief, mir gesagt, dass er eben am 24. drei Sätze abgeschickt hatte. Alle vier würden 50 bis 60 Seiten ausmachen, also wohl mehr, als Sie ursprünglich angenommen und ich dem DMV geschrieben hatte. Es hiess 28 doppelseitige Seiten Urlinientafeln und 7 Seiten (mit 26) Figuren, auch doppelseitig. 4 Dies aber nur wegen Roeders Kalkulation. Dem traurigen Költzsch 5 (ich liebe den Jungen ein wenig) lege ich zwei erfreulichere Benze bei, die ich zurückbitte. Ist unter Ihren Schülern in Wien einer, der eventuell für meinen Bruder, einen sehr geübten und begabten Pianisten, als Lehrer nach Frl. Schab, Steuermann etc. in Betracht käme? Er ist ein sehr beschäftigter Kaufmann, im Gegensatz also zu Brünauer. Ein Mann namens F. Kummer bearbeitete um 1836 Bs. 10. Quartett (op.74 in Es) als „Symphonie“. Die Sache wurde bei einer Akademie im Dresdener Hoftheater gespielt, in Wien mit einer Notiz abfällig erledigt, ist aber in Stich wohl nie erschienen. Es gab bess’re Zeit … Wichtiger für Sie kann aber sein: Die Sonate op. 22 erschien zuerst bei Hoffmeister & Co., wie ich festellte, dabb dann bei Hoffmeister & Kühnel, wie Nottebohm sagt, endlich bei Kühnel, wie Thayer meint. Das sind wohl Titelauflagen der Original-Ausgabe. Die nächste Auflage aber ist eine neue bei deren Nachfolger Peters, frühestens 1814 erschienen. Ich bemerkte das erst jetzt bei Hoboken, wo wir auch diese Auflage neben der Original von H. & Co. haben. Der Titel ist nämlich mit der Platte geblieben. {2} Ich kam darauf, als ich eine eben angebotene Ausgabe Jean Cappis, die niemand kannte, also einen Wiener Druck, mit beiden verglich. Er entspricht der Auflage Peters und nennt sich deshalb auch „2. Edition“. Ob die Abweichung beider – wie ich glaube, mehr schreibtechnischer Art – auf B. zurückgehe und welche (Peters oder Cappi) früher erschienen ist, kann ich noch nicht sagen. Jedenfalls scheint mir diese 2. Fassung, die sicher bei Lebzeiten Bs. erschien, Ihrer Beachtung sehr wert. Ich hoffe, wir kaufen auch die Ausgabe Cappi. B. schrieb im Spätherbst 1825 an Schott: „… Soll nichts zu erfinden sein, wenn man auf stereotypische Art sogleich seine Worte vervielfältigen könnte, ohne diese Griffel an Kopisten nötig zu haben …“ 6 Motto für Archiv oder Tomay? Ich empfehle Ihnen, sich nächstens einen Offenbach-Vortrag von K Kraus anzuhören. Womöglich zuerst eine Operette, die Sie gut kennen. Liegler, 7 einst sein, jetzt mein Freund, hat für die Lyrik ein System ausgedacht, das mir Ihrer Urlinie, von der er nichts wusste, zu entsprechen scheint. Ich möchte Sie zu seinem Nutzen einmal im Herbst mit diesem edlen, klugen Menschen (der einen schönen Kopf auf einen Höcker trägt) zusammenführen. Der Brief, wo angeblich Hoboken von seinem Glück auf Sylt schrieb, stammt von ihr, wie ich nachträglich bemerkte. Ich wunderte mich noch über die herzliche Ansprache … Und also fällt alles, was wir daran geknüpft haben, zusammen. Mit der Irre war es – natürlich wortwitzig – so gemeint, dass das neue Haus „an der Irre“ heisst, was Sie vielleicht gar nicht wussten. Nach dem Wasser dort. Und nun muss ich richtig abbrechen, bevor ich Ihren Brief eigentlich beantworten konnte. ich möchte Ihnen nächste Woche nochmals darüber schreiben. © Transcription William Drabkin, 2023 |
⇧ PROF. OTTO ERICH DEUTSCH VIENNA II Böcklinstraße 26 ⇧ July 30, 1930 Dear revered Dr. [Schenker], 1 I shall, unfortunately, be able to reply to your lovely and detailed letter of the 20th 2 only briefly. I have been swamped here. And tomorrow I am travelling to see my family. First of all, let me tell you what lies in my heart, or on my tongue. When, having received your postcard of the 23rd, 3 I immediately telephoned Tomay, he told me that he had just sent three movements to you on the 24th. All four would come to between 50 and 60 pages, that is somewhat more than you originally expected and what I put to Drei Masken Verlag in writing. There would be 28 double-sided Urlinie graphs and seven pages of figures (26 music examples), also two-sided. 4 But I’m saying this only on account of Roeder’s calculation. To the sad Költzsch 5 (I rather like the youngster), I am adding two more cheerful pieces by Benz, which I should like you to return. Among your pupils in Vienna, is there one who might possibly consider teaching my brother, a very experienced and gifted pianist, apart from Miss Schaab, Steuermann, etc.? He is a very busy merchant, in contrast to, say, Brünauer. A man by the name of F. Kummer arranged Beethoven’s tenth string quartet (Op. 74 in Eę) as a “symphony”. The piece was played at a concert at the Dresden Court Theatre and written off in a Viennese newspaper review; but it seems never to have appeared in print. Times were better … For you, this may be more important: the Sonata Op. 22 was first published by Hoffmeister, as I ascertained, then by Hoffmeister & Kühnel, as Nottebohm says, and finally by Kühnel, as Thayer says. These are probably reprints of the original edition. The next printing, however, is a new one, by the firm’s successor, Peters, and appeared in 1814 at the earliest. I noticed this only now, at Hoboken’s library, where we have this edition alongside the original edition of Hoffmeister & Co.: the title-page remained with the printing plate. {2} I came across it when I compared the two with another edition we have just been offered, and which no one knew, by Jean Cappi, thus a Viennese print. It derives from the Peters edition and for this reason is also designated as “2nd edition.” Whether the differences between the two (which I believe to be more of a writing-technical nature) derive from Beethoven, and which (Peters or Cappi) appeared earlier, I cannot yet say. In any event, this second version, which surely appeared during Beethoven’s lifetime, is very much worth your while studying. I hope that we shall also buy the Cappi edition. In the late autumn of 1825, Beethoven wrote to Schott: “… should there be nothing to discover, if his words could immediately be duplicated in a stereotypical way, without there being a need for this stylus of copyists …”: 6 a motto for the Archive or Tomay? I recommend that you listen to an Offenbach reading by Karl Kraus in the near future, starting if possible with an opera that you know well. Liegler, 7 once his friend and now mine, has conceived a system for poetry which seems to correspond to your Urlinie, of which he knew nothing. I should like to introduce you sometime this autumn – for his benefit – to this noble, intelligent person, who bears a beautiful head on a hunched [back]. The letter in which Hoboken wrote of his happiness on Sylt comes from his wife, as I subsequently observed. I was still wondering about the cordial [manner of] address … and so everything that we had attached to it falls into place. “Irre” – of course a play on words – referred to the fact that the new house is called “on the Irre,” after the body of water there, something which you did not at all know. And now I must interrupt myself, before I am able actually to reply to your letter. I should like to write to you about it again next week. © Translation William Drabkin, 2023 |
Footnotes1 Receipt of this letter is recorded in Schenker’s diary for August 1, 1930: “von Deutsch (Br.): die erste sozusagen halbe Erwiderung auf meinen langen Brief, dazu Beilagen: über Benz’ 2. Aufl. u. ein Aufsatz von Benz. D. macht mich auf einen Erstdruck von op. 22 aufmerksam; möchte für seinen Bruder einen Lehrer aus meiner Schule.” (“from Deutsch (letter): the first half-reply, so to speak, to my long letter, together with two inclosures: concerning Benz's second edition, and an article by Benz. Deutsch alerts me to a first edition of Op. 22; he would like a teacher from my school, for his brother.”) 2 = WSLB-Hds 191.565, from Schenker to Deutsch, July 20, 1930. 3 This postcard (not surviving) is recorded in Schenker’s diary for July 23, 1930: “An Deutsch (K.): habe das Manuscript schon in der Hand – Piller ist bezahlt.” (“to Deutsch (postcard): [the publishers] have already received the manuscript – Piller has been paid.”). Piller’s receipt for payment is preserved as OC 54/220. 4 In the published third Meisterwerk yearbook, two lines of Urlinie were printed on each page; the entire booklet devoted to these graphs took up 35 pages. 5 A newspaper article by Hans Költzsch on jazz, which was enclosed in Schenker’s letter of July 20. 6 I have not located this obscure passage in Beethoven’s correspondence to Schott; it may have been written to another publisher. Beethoven frequently complained about copyists who were unable to read his handwriting. 7 Leopold Liegler (1882–1949), literary historian and critic, author of Karl Kraus und die Sprache (1918) and Karl Kraus und sein Werk (1920). |
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Commentary
Digital version created: 2023-04-20 |