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WSLB-Hds 191.566 - Handwritten letter from Schenker to Deutsch, dated August 5, 1930
Für Ihre fortgesetzte Mühe mit Tomay besten Dank. Seine Arbeit macht einen vorzüglichen Eindruck, allgemein, nicht nur bei uns Beiden. Nun folge ich Ihren Absätzen: 2 In erste Linie würde ich für Ihren H. Bruder Frl. Marianne Kahn [note in margin] cued from lower margin: XIX, Gannigstr. 70, zur Zeit in Steinach a/Brenner , Villa Waldheim [end cue] empfehlen, die über 20 Jahre meine Schülerin ist, noch ist, eine mehr als kompetente Pianistin ist, teoretisch durch u. durch ausgebildet, die nur wegen ungeeigneter Nerven unterlassen musste, sich öffentlich zu zeigen. Sie spielt auf einen Satz auswendig: Brahms’ Paganini-Variat., Chop.’ sämtliche Etüden op. 10, op. 25, Beeth’s {2} op. 106, usw. usw. Für Ihren H. Bruder hätte sie den Vorteil, daß sie, wie gesagt, noch zu mir kommt, also nötigenfalls Rat u. Anweisung sich bei mir jederzeit holen kann. Sie hat sich immer sehr gut bereitet, wo immer ich sie empfohlen habe. (Ihr Bruder ist Univ-Prof. für Physiol. in Prag, Ihre Schwester in hervorragender Stelle im Sanatorium Löw.) Erst an zweiter Stelle würde ich H. Albersheim nennen. An Dr. Weisse ist doch nicht zu denken? Was Sie zu op. 22 schreiben, ist mir freilich wichtig. Vielen Dank. Wenn ich in Wien bin, werde ich Sie bitten, mi chr die neuentdeckte Ausgabe einzusehen zu lassen. Auf H. Liegler 3 freue ich mich schon sehr! „Ein edler, kluger Mensch“ – was wollten {3} wir mehr? Für die Rich. Benz -Beilagen vielen Dank. Benz wird, weil er nie wirklich zur Sache spricht, in eben dieser Sache nie etwas ausrichten. Er empfindet blos einen unleugbaren, höchst traurigen Tatbestand höchst schmerzlich, aber die Art, wie er von dem Schmerz sich persönlich befreit, ist für die Kunst völlig unfruchtbar, betrachte man sie nach hinten oder vorn, in Lehre oder Ausführung. Wüßte Benz z. B., wie Schubert Goethes „Der Du vo mn dem Himmel bist“ musikalisch gesetzt hat, welchen Sieg die Musik in den wenigen Takten erfochten, er würde dann nicht mehr schwitzen, sondern mit Brustton erklären: Die Musik der Genies kann im Grunde nicht untergehen, die andere dagegen muß versinken, u. zw. nur weil sie die Vollendung der ersteren nicht erreicht! Unzulänglichkeit, zumal wie heute vervielfacht, das allein ist der Untergang {4} der Musik, das ist ihre leibhaftiger Tuberkulose, körperlich-organisch gesprochen. Was nützt es, dass wir aus der Zeit des blühenden Musik-Organismus, verkörpert durch die großen Genies, unzerstörbare Kunstwarte besitzen, wenn nach ihnen der Bazillus des Durchschnitts, des Pöbels kam, der den Organismus buchstäblich infiziert u. vernichtet hat? Wohl uns, daß wir zumindest Zeugnisse aus der Zeit der Gesundheit haben! Am anderen Ende stehe ich selber. Auch ich kann niemals wirklich durchdringen, doch wieder aus einem anderen Grunde als Benz : ich spreche nur musikalisch über die Musik, mit eigenen Sprache. Das geht nun auch nicht. Kommt dazu, daß die Geniewerke letztlich ja auch nicht durch- und eindringen, so steht als letzte Lösung des schwierigen Rätsels – Gott selber, der nur sich ewigen Atem zubilligt, seinen Geschöpfen aber, wer sie auch seien, nie u. nimmer! Und doch, doch lieber als Benz bin ich Schenker. [in upper margin, upside down:] Ihnen Beiden beste Grüße von uns Beiden. Noch einmal auch Dank für Alles Ihr [signed:] H Sch © Transcription William Drabkin, 2023 |
My best thanks for your continued effort with Tomay. His work makes an excellent impression: in general, not just on the two of us. I now follow the paragraphs in your letter 2 : With regard to your brother, I would recommend in the first place Miss Marianne Kahn [note in margin] cued from lower margin: Gannigstraße 70, Vienna XIX; at present at the Villa Waldheim in Steinach am Brenner [end cue]. She has been my pupil for more than twenty years, and still is, and is more than a competent pianist, she has a complete and thorough training in theory, and it was only because of her unsteady nerves that she had to give up playing in public. She can play at a stroke, from memory, Brahms’s Paganini Variations and Chopin’s collected etudes, Op. 10 and Op. 25, Beethoven’s {2} Op. 106, etc. etc. For your brother, she would have the advantage that, as I said, she still comes to me and thus can if necessary get advice and instruction from me at any time. Wherever I have recommended her, she has always prepared herself very well. (Her brother is Professor of Physiology at the University of Prague, her sister has an excellent position at the Löw Sanatorium.) I would recommend Mr. Albersheim in second place. But would you not consider Dr. Weisse? What you write about Op. 22 is of course important for me; many thanks. When I am in Vienna, I shall ask you to let me have a look at the newly discovered edition. I very much look forward to meeting Mr. Liegler, 3 “A noble, intelligent man” – what more do we want? {3} Many thanks for the Richard Benz enclosures. Because he never really speaks to the point, he will never really accomplish anything relevant to this very matter. He merely finds an undeniable and deeply tragic situation very painful; but the way in which he personally frees himself from the pain is completely unfruitful, whether one looks at it from behind or in front, in theory or in practice. If, for example, Benz knew how Schubert set Goethe’s “Der Du von dem Himmel bist” musically, and what victory the music fought for in just a few bars, he would then no longer sweat but declare with conviction: “The music of the geniuses can, fundamentally, not go down; the rest, by contrast, must sink, and indeed only because it does not achieve the perfection of the former,” Inadequacy, especially as it is multiplied today, that alone is the [reason for] music’s decline, {4} that is its incarnate tuberculosis, speaking in bodily-organic terms. Of what use is it that we possess indestructible guardians of art from the time of the flourishing music organism, embodied in the work of our great geniuses, if they were followed by the bacillus of mediocrity, of the riff-raff, which literally infected and destroyed the organism? We are fortunate in at least having witnesses from the time of good health. I myself stand at the opposite end. I too will never be able really to get through to people, but again for a different reason than Benz: I speak only in musical terms about music, with my own language. That too is no good. If in addition the works of genius indeed can never penetrate and get through in the end, then the ultimate solution to this difficult puzzle lies with God himself, who grants Himself alone eternal breath, but not his creations, whoever they may be, never ever! And yet, and yet in preference to Benz I am … Schenker. [in upper margin, upside down:] To the two of you, best greetings from the two of us. And once again, thank you for everything. Your [signed:] H. Schenker © Translation William Drabkin, 2023 |
Für Ihre fortgesetzte Mühe mit Tomay besten Dank. Seine Arbeit macht einen vorzüglichen Eindruck, allgemein, nicht nur bei uns Beiden. Nun folge ich Ihren Absätzen: 2 In erste Linie würde ich für Ihren H. Bruder Frl. Marianne Kahn [note in margin] cued from lower margin: XIX, Gannigstr. 70, zur Zeit in Steinach a/Brenner , Villa Waldheim [end cue] empfehlen, die über 20 Jahre meine Schülerin ist, noch ist, eine mehr als kompetente Pianistin ist, teoretisch durch u. durch ausgebildet, die nur wegen ungeeigneter Nerven unterlassen musste, sich öffentlich zu zeigen. Sie spielt auf einen Satz auswendig: Brahms’ Paganini-Variat., Chop.’ sämtliche Etüden op. 10, op. 25, Beeth’s {2} op. 106, usw. usw. Für Ihren H. Bruder hätte sie den Vorteil, daß sie, wie gesagt, noch zu mir kommt, also nötigenfalls Rat u. Anweisung sich bei mir jederzeit holen kann. Sie hat sich immer sehr gut bereitet, wo immer ich sie empfohlen habe. (Ihr Bruder ist Univ-Prof. für Physiol. in Prag, Ihre Schwester in hervorragender Stelle im Sanatorium Löw.) Erst an zweiter Stelle würde ich H. Albersheim nennen. An Dr. Weisse ist doch nicht zu denken? Was Sie zu op. 22 schreiben, ist mir freilich wichtig. Vielen Dank. Wenn ich in Wien bin, werde ich Sie bitten, mi chr die neuentdeckte Ausgabe einzusehen zu lassen. Auf H. Liegler 3 freue ich mich schon sehr! „Ein edler, kluger Mensch“ – was wollten {3} wir mehr? Für die Rich. Benz -Beilagen vielen Dank. Benz wird, weil er nie wirklich zur Sache spricht, in eben dieser Sache nie etwas ausrichten. Er empfindet blos einen unleugbaren, höchst traurigen Tatbestand höchst schmerzlich, aber die Art, wie er von dem Schmerz sich persönlich befreit, ist für die Kunst völlig unfruchtbar, betrachte man sie nach hinten oder vorn, in Lehre oder Ausführung. Wüßte Benz z. B., wie Schubert Goethes „Der Du vo mn dem Himmel bist“ musikalisch gesetzt hat, welchen Sieg die Musik in den wenigen Takten erfochten, er würde dann nicht mehr schwitzen, sondern mit Brustton erklären: Die Musik der Genies kann im Grunde nicht untergehen, die andere dagegen muß versinken, u. zw. nur weil sie die Vollendung der ersteren nicht erreicht! Unzulänglichkeit, zumal wie heute vervielfacht, das allein ist der Untergang {4} der Musik, das ist ihre leibhaftiger Tuberkulose, körperlich-organisch gesprochen. Was nützt es, dass wir aus der Zeit des blühenden Musik-Organismus, verkörpert durch die großen Genies, unzerstörbare Kunstwarte besitzen, wenn nach ihnen der Bazillus des Durchschnitts, des Pöbels kam, der den Organismus buchstäblich infiziert u. vernichtet hat? Wohl uns, daß wir zumindest Zeugnisse aus der Zeit der Gesundheit haben! Am anderen Ende stehe ich selber. Auch ich kann niemals wirklich durchdringen, doch wieder aus einem anderen Grunde als Benz : ich spreche nur musikalisch über die Musik, mit eigenen Sprache. Das geht nun auch nicht. Kommt dazu, daß die Geniewerke letztlich ja auch nicht durch- und eindringen, so steht als letzte Lösung des schwierigen Rätsels – Gott selber, der nur sich ewigen Atem zubilligt, seinen Geschöpfen aber, wer sie auch seien, nie u. nimmer! Und doch, doch lieber als Benz bin ich Schenker. [in upper margin, upside down:] Ihnen Beiden beste Grüße von uns Beiden. Noch einmal auch Dank für Alles Ihr [signed:] H Sch © Transcription William Drabkin, 2023 |
My best thanks for your continued effort with Tomay. His work makes an excellent impression: in general, not just on the two of us. I now follow the paragraphs in your letter 2 : With regard to your brother, I would recommend in the first place Miss Marianne Kahn [note in margin] cued from lower margin: Gannigstraße 70, Vienna XIX; at present at the Villa Waldheim in Steinach am Brenner [end cue]. She has been my pupil for more than twenty years, and still is, and is more than a competent pianist, she has a complete and thorough training in theory, and it was only because of her unsteady nerves that she had to give up playing in public. She can play at a stroke, from memory, Brahms’s Paganini Variations and Chopin’s collected etudes, Op. 10 and Op. 25, Beethoven’s {2} Op. 106, etc. etc. For your brother, she would have the advantage that, as I said, she still comes to me and thus can if necessary get advice and instruction from me at any time. Wherever I have recommended her, she has always prepared herself very well. (Her brother is Professor of Physiology at the University of Prague, her sister has an excellent position at the Löw Sanatorium.) I would recommend Mr. Albersheim in second place. But would you not consider Dr. Weisse? What you write about Op. 22 is of course important for me; many thanks. When I am in Vienna, I shall ask you to let me have a look at the newly discovered edition. I very much look forward to meeting Mr. Liegler, 3 “A noble, intelligent man” – what more do we want? {3} Many thanks for the Richard Benz enclosures. Because he never really speaks to the point, he will never really accomplish anything relevant to this very matter. He merely finds an undeniable and deeply tragic situation very painful; but the way in which he personally frees himself from the pain is completely unfruitful, whether one looks at it from behind or in front, in theory or in practice. If, for example, Benz knew how Schubert set Goethe’s “Der Du von dem Himmel bist” musically, and what victory the music fought for in just a few bars, he would then no longer sweat but declare with conviction: “The music of the geniuses can, fundamentally, not go down; the rest, by contrast, must sink, and indeed only because it does not achieve the perfection of the former,” Inadequacy, especially as it is multiplied today, that alone is the [reason for] music’s decline, {4} that is its incarnate tuberculosis, speaking in bodily-organic terms. Of what use is it that we possess indestructible guardians of art from the time of the flourishing music organism, embodied in the work of our great geniuses, if they were followed by the bacillus of mediocrity, of the riff-raff, which literally infected and destroyed the organism? We are fortunate in at least having witnesses from the time of good health. I myself stand at the opposite end. I too will never be able really to get through to people, but again for a different reason than Benz: I speak only in musical terms about music, with my own language. That too is no good. If in addition the works of genius indeed can never penetrate and get through in the end, then the ultimate solution to this difficult puzzle lies with God himself, who grants Himself alone eternal breath, but not his creations, whoever they may be, never ever! And yet, and yet in preference to Benz I am … Schenker. [in upper margin, upside down:] To the two of you, best greetings from the two of us. And once again, thank you for everything. Your [signed:] H. Schenker © Translation William Drabkin, 2023 |
Footnotes1 Writing of this letter is recorded in Schenker’s diary for August 5, 1930: “An Deutsch (Br.): empfehle Fräulein Kahn; freue mich auf den Erstdruck von op. 22 u. Herrn Liegler; einige Worte über Benz: er müht sich vergeblich ab, da er nur Phrasen drischt, ich erreiche nichts, weil ich sachlich bin, den ewigen Athem hat sich Gott vorbehalten u. doch: lieber als Benz bin ich Schenker.”) (“To Deutsch (letter): I recommend Miss Kahn, look forward to the first edition of Op. 22 and Mr. Liegler; a few words about Benz: his efforts are in vain, since he only thrashes out phrases; I achieve nothing because I am objective, God has reserved eternal breath for himself. And yet: I would rather be Schenker than Benz”). 2 = OC 54/311, Deutsch Schenker. July 30, 1930. 3 Leopold Liegler (1882–1949), literary historian and critic, author of Karl Kraus und die Sprache (1818) and Karl Kraus und sein Werk (1820). |
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Commentary
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