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OJ 15/6, [6] - Handwritten letter from Fritz Wahle to Schenker, undated [November ?27–28, ?1906]
Als ich gestern abends nachhause kam lag dein Buch 3 auf dem Tisch. Als ich heute erfuhr, dass Du es in der Währingerstrasse abgegeben (oder hast abgeben lassen) – ich wohne ja seit 11/11 Börsegasse 7 – ärgerte ich mich für Dich. Der Grund ist compliciert, wie die Gefühle. Ich war eitel genug, zu glauben, ich werde da unter den Ersten sein, die dein Buch in die Hände bekommen, und indem ich meinen Wunsch, mit deiner Absicht identificerte fand ich dieselbe um einen Tag geschädigt – so wie meinen Wunsch der Prioritaet. Nun mußte ich dein Buch bis heute abends liegen lassen, ich gestehe, dass ich von gestern 12h bis heute abends voller Erwartungsfreude war, das Buch zu lesen. Nun ich die ersten Capitel gelesen mögen diese Zeilen der Freundschaft an dich gerichtet sein. Ich zähle Dich ja auch unter die stille Gemeinde jener Braven, die sich nur dann an die Menschen wenden, wenn sie wirklich überzeugt sind, ihnen zu nützen, indem ich sie auf ihrem Wege zu begleiten wünschen beherrschen mich Gedanken, Wünsche: Ist er ein erster Prophet, hat sein Talent; seine Einsicht ihn wichtige Wege geführt, wird er Kraft genug {2} haben, wenigstens die Hauptsachen überzeugend zu predigen? Und die Furcht vor der Bestie, die wir aus tausendjähriger Geschichte kennen[,] bringt mich zu den Wünschen, die ebenso schwer aufzuzählen sind, wie die mannigfaltige Gemeinheit–Geringheit der Menschen: dass sie doch die elementaren Hauptsachen verstehen wollten, nicht wie die Schafe darüber wegstolpern mit dem Geblöcke: das ist ja längst bekannt. Dass sie nicht an das secundäre, dass sie misverstehen, weil sie das Primäre nicht als solches erfasst haben, sich klammern, es an sich reißen, sich seiner bemächtigen, wie der Affe, der in seiner dümmsten Triebe den Menschen nachahmt. – Savart ist eben gekommen, ich unterbreche. (Mittwoch im Winterbierhaus) bevor ich zu deinem Buche greife will ich den Brief vollenden – Die Kleider seines Herrn sich anzuziehen bemüht – die Ärmel des Rocks sollen ihm für die Beine dienen, die Hosen bindet er sich um den Hals, seine Bemühungen erscheinen komisch – doch die [?jener] kläglich, [word crossed out] unfruchtbar, doch oft auch gefährlich, denn die Elende zerstücken ein [?recht] gemeintes Ganzes, wie die Geier sitzen sie da mit einem [?Fegen] Fleisch eines nicht kräftig frischen Körpers[.] {3} Und der Neid und die Mis[s]gunst, die Oberflächlichkeit, der Philister wird wie viele noch – sie bestimmen alle das Schicksal einer ernsten wolgemeinten Tat. Dass du vor all dem Unbild bewahrt bleibst, dass deine Ueberzeugung auch die der anderen wird, dass du Verständnis, Einverständnis findest wünsche ich dir mit meiner ganzen Freundschaft, denn ich bin überzeugt, dass du ein Gutes gewollt, dass dies Buch ein Theil deines Lebens ist[,] ein versuchter Ausdruck deines Ichs, welches ich hoch schätze wegen seines Ernstes. Und indem ich nun deinem Buche eine schöne glückliche Reise durch das Reich der Kunst wünsche © Transcription William Drabkin, 2022 |
When I returned home yesterday evening, your book 3 lay on my desk. When I learned today that you had dropped it off (or had it dropped off) at Währingerstrasse – I have resided at Börsegasse 7 since November 11 – I was angry for your sake. My reason is as complicated as my feelings. I was vain enough to believe that I would be among the first to receive your book in my hands; and as I identified my wish with your intention, I found the latter damaged by one day – as was my desire for priority. Now I had to let your book lie until this evening; I admit that since noon yesterday until this evening I was full of the joy of expectation of reading your book. 4 Now that I have read the first chapter, may these lines of friendship be directed toward you. Indeed, I reckon you among the silent community of those brave people who address people only when they are truly convinced that they are able to be of use to them; insofar as I wish to accompany them on their way, I am governed by thoughts and wishes: if he is a first prophet, if his talent, his insight, led him in important directions, will he have sufficient strength {2} at least to preach the major issues convincingly? And the fear of the beast which we know from thousands of years of history brings me to the desires, which are just as difficult to enumerate as the manifold vulgarity–meagerness of humanity: that they nonetheless wanted to understand the elementary principles, and not stumble away from them like bleating sheep, is something we have known for a long time; that they do not attach themselves to that which is secondary, which they misunderstand because they haven’t grasped the primary for what it is, like the ape which, in its stupidest activity imitates a human being. – Savart has just arrived, I shall interrupt. (Wednesday, in the Winterbierhaus): before I tackle your book, I want to finish this letter – Anxious to put on the clothes of his master – the sleeves of the jacket shall serve him for legs, the trousers he wraps around his neck, his efforts seem comical – but those of the [?others] are wretched, unfruitful, but often also dangerous; the miserable ones tear to pieces a well-intentioned whole; like vultures, they sit there with a [?piece] of flesh from a not powerfully fresh corpse. {3} And the envy and the resentment, the superficiality, how many more Philistines there will be – they will all determine the fate of a serious, well-meant deed. That you will remain safe from all this ignorance, that your convictions will also become those of the others, that you find understanding and accord, these are things that I wish for you with my entire friendship; for I am convinced that you have wanted something good, that this book is a part of your life, an attempt to express your very self, something I value highly because of its seriousness. And as I now wish your book a beautiful, happy voyage through the realm of art, © Translation William Drabkin, 2022 |
Als ich gestern abends nachhause kam lag dein Buch 3 auf dem Tisch. Als ich heute erfuhr, dass Du es in der Währingerstrasse abgegeben (oder hast abgeben lassen) – ich wohne ja seit 11/11 Börsegasse 7 – ärgerte ich mich für Dich. Der Grund ist compliciert, wie die Gefühle. Ich war eitel genug, zu glauben, ich werde da unter den Ersten sein, die dein Buch in die Hände bekommen, und indem ich meinen Wunsch, mit deiner Absicht identificerte fand ich dieselbe um einen Tag geschädigt – so wie meinen Wunsch der Prioritaet. Nun mußte ich dein Buch bis heute abends liegen lassen, ich gestehe, dass ich von gestern 12h bis heute abends voller Erwartungsfreude war, das Buch zu lesen. Nun ich die ersten Capitel gelesen mögen diese Zeilen der Freundschaft an dich gerichtet sein. Ich zähle Dich ja auch unter die stille Gemeinde jener Braven, die sich nur dann an die Menschen wenden, wenn sie wirklich überzeugt sind, ihnen zu nützen, indem ich sie auf ihrem Wege zu begleiten wünschen beherrschen mich Gedanken, Wünsche: Ist er ein erster Prophet, hat sein Talent; seine Einsicht ihn wichtige Wege geführt, wird er Kraft genug {2} haben, wenigstens die Hauptsachen überzeugend zu predigen? Und die Furcht vor der Bestie, die wir aus tausendjähriger Geschichte kennen[,] bringt mich zu den Wünschen, die ebenso schwer aufzuzählen sind, wie die mannigfaltige Gemeinheit–Geringheit der Menschen: dass sie doch die elementaren Hauptsachen verstehen wollten, nicht wie die Schafe darüber wegstolpern mit dem Geblöcke: das ist ja längst bekannt. Dass sie nicht an das secundäre, dass sie misverstehen, weil sie das Primäre nicht als solches erfasst haben, sich klammern, es an sich reißen, sich seiner bemächtigen, wie der Affe, der in seiner dümmsten Triebe den Menschen nachahmt. – Savart ist eben gekommen, ich unterbreche. (Mittwoch im Winterbierhaus) bevor ich zu deinem Buche greife will ich den Brief vollenden – Die Kleider seines Herrn sich anzuziehen bemüht – die Ärmel des Rocks sollen ihm für die Beine dienen, die Hosen bindet er sich um den Hals, seine Bemühungen erscheinen komisch – doch die [?jener] kläglich, [word crossed out] unfruchtbar, doch oft auch gefährlich, denn die Elende zerstücken ein [?recht] gemeintes Ganzes, wie die Geier sitzen sie da mit einem [?Fegen] Fleisch eines nicht kräftig frischen Körpers[.] {3} Und der Neid und die Mis[s]gunst, die Oberflächlichkeit, der Philister wird wie viele noch – sie bestimmen alle das Schicksal einer ernsten wolgemeinten Tat. Dass du vor all dem Unbild bewahrt bleibst, dass deine Ueberzeugung auch die der anderen wird, dass du Verständnis, Einverständnis findest wünsche ich dir mit meiner ganzen Freundschaft, denn ich bin überzeugt, dass du ein Gutes gewollt, dass dies Buch ein Theil deines Lebens ist[,] ein versuchter Ausdruck deines Ichs, welches ich hoch schätze wegen seines Ernstes. Und indem ich nun deinem Buche eine schöne glückliche Reise durch das Reich der Kunst wünsche © Transcription William Drabkin, 2022 |
When I returned home yesterday evening, your book 3 lay on my desk. When I learned today that you had dropped it off (or had it dropped off) at Währingerstrasse – I have resided at Börsegasse 7 since November 11 – I was angry for your sake. My reason is as complicated as my feelings. I was vain enough to believe that I would be among the first to receive your book in my hands; and as I identified my wish with your intention, I found the latter damaged by one day – as was my desire for priority. Now I had to let your book lie until this evening; I admit that since noon yesterday until this evening I was full of the joy of expectation of reading your book. 4 Now that I have read the first chapter, may these lines of friendship be directed toward you. Indeed, I reckon you among the silent community of those brave people who address people only when they are truly convinced that they are able to be of use to them; insofar as I wish to accompany them on their way, I am governed by thoughts and wishes: if he is a first prophet, if his talent, his insight, led him in important directions, will he have sufficient strength {2} at least to preach the major issues convincingly? And the fear of the beast which we know from thousands of years of history brings me to the desires, which are just as difficult to enumerate as the manifold vulgarity–meagerness of humanity: that they nonetheless wanted to understand the elementary principles, and not stumble away from them like bleating sheep, is something we have known for a long time; that they do not attach themselves to that which is secondary, which they misunderstand because they haven’t grasped the primary for what it is, like the ape which, in its stupidest activity imitates a human being. – Savart has just arrived, I shall interrupt. (Wednesday, in the Winterbierhaus): before I tackle your book, I want to finish this letter – Anxious to put on the clothes of his master – the sleeves of the jacket shall serve him for legs, the trousers he wraps around his neck, his efforts seem comical – but those of the [?others] are wretched, unfruitful, but often also dangerous; the miserable ones tear to pieces a well-intentioned whole; like vultures, they sit there with a [?piece] of flesh from a not powerfully fresh corpse. {3} And the envy and the resentment, the superficiality, how many more Philistines there will be – they will all determine the fate of a serious, well-meant deed. That you will remain safe from all this ignorance, that your convictions will also become those of the others, that you find understanding and accord, these are things that I wish for you with my entire friendship; for I am convinced that you have wanted something good, that this book is a part of your life, an attempt to express your very self, something I value highly because of its seriousness. And as I now wish your book a beautiful, happy voyage through the realm of art, © Translation William Drabkin, 2022 |
Footnotes1 The Winterbierhaus was a popular alehouse which occupied the ground floor of the Winterhaus, a building in the first district of Vienna bounded by Landkrongasse, Tuchlauben and Wildpretmarkt. Franz Schubert found lodgings there for a time; the present edifice dates from 1902. 2 This letter is written over two successive days, Tuesday and Wednesday. The editorial dating is based on (a) the fact that Wahle had moved previously on “11/11”, (b) November 27–28 are a Tuesday–Wednesday pair, and (c) the probability that the book sent was Harmonielehre (the only one of Schenker’s publications not otherwise identifiable in these letters), the publication year of which was 1906. 3 In all probability, Schenker’s anonymously published Harmonielehre (Stuttgart: J. G. Cotta, 1906), issued on November 10, 1906. If Wahle had received this shortly after it had been issued, then he would have indeed been among the first to begin reading it. Wahle writes continuously at this point, without paragraph-break. 5 Widmung: presumably a handwritten inscription to Wahle, at the front of the volume. |