11.
⇧ Frau Jenny Eissler u. Käthe Stirling-Wimmer haben mit 3000 bzw. 5000 Kr.den Betrag zum Bau des Konzertvereinshauses gezeichnet! Welcher Duft aus Cloake! Frauen, die Kunstfreundinnen spielen wollen, u. ärgsten Schmutz bei dieser Komödie an den Tag legen, wissen es – offenbar in ärgster Notwehr? – d ieer Pose einen ehrlichen Inhalt zu geben! ⇧ Zu denselb Ähnliche moralische Irrationalitäten : die K. K. Gesellschaft d. Musikfreunde in Wien gibt eine halbe Million Kronen für den Neubau des Konzertsa[a]les aus u. hat für den Auf- u. Ausbau von Künstlerseelen, die der Tonkunst schaffend neue, auch materielle Werte zuführen sollen, keinerlei Geld!? 1 *⇧ Eine liebenswürdige Aufforderung zur Mitarbeit seitens des Herausgebers des „Musiksalons“ in Berlin, Herrn Lubowsk iy abgelehnt. 2 Welche Untüchtigkeit kaufmännisch genommen! Statt zu begreifen, daß vor allem doch seine eigene Pflicht ⇧ es gewesen wäre, schon längst die Leser seines Blattes mit meinen Werken bekannt zu machen, was allein ihm zugleich auch das Recht gegeben hätte, an mich, als den seinen Lesern eben bereits bekannt gewordenen Autor, mit der Bitte um die Mitwirkung heranzutreten, hält er naiverweise für das Wichtigere, daß seine Jjournalistische Tätigkeit durch mich gefördert werde. Welches qui pro quo! Ein Diener hält sich für den Herrn u. wünscht seine eigenen Interessen in den Vordergrund gestellt zu wissen, die wahrhaftig doch nicht {185} die des Herrn sind. Ich habe übrigens diesen Gedanken deutlich ausgesprochen gegenüber Herrn Karpath als er mich um einen Aufsatz für Herrn Spanuth („Signale f. d. mus. Welt“, Berlin) angieng. *Ein überaus naiver Aufsatz über die IX. Symphonie von Kapellmeister Dr. Kunwald, bringt mir einen Abend in Erinnerung, den ich in seiner Gesellschaft mit Fritz Wahle u. Violin in einem Ringstraßencafé verbracht habe. Da geschah es, daß er plötzlich in Reue ausbrach, mit Brahms in Wien gelebt u. ihn dennoch verkannt zu haben. Er meinte, daß er es heute nicht begreifen könne, wie es möglich war, Brahms blos für einen Epigonen Beethovens zu halten u. führte zur Erklärung u. Entschuldigung an, daß offenbar der Einfluß seines Lehrers Grädener, wie auch nicht [?nur] der die eigene Einsichtslosigkeit die Gründe davon gewesen sein mochten. Darauf erwiederte [sic] ich aber: „Mit Verlaub der Grund ist ein anderer; nur weil Sie Beethoven noch gar nicht erfaßt haben, war es Ihnen möglich, Brahms zu verkennen. Wer Beethovens Kunst versteht, weiß auch daß Brahms ebensowenig Epigone ist, als z.B. Bach einer gewesen.” Der Aufsatz des Dr. Kunwald s beweist zur Genüge, daß er leider dort stehen geblieben, wo ich ihn vor Jahren zufällig antraf. 3 *Selbst Rodin weiß es bereits zu sagen daß „Genie Ordnung ist“.“ *© Transcription Ian Bent, 2020 |
[November]
11
⇧ Mrs. Jenny Eissler and Käthe Stirling-Wimmer have subscribed 3,000 and 5,000 Kronen respectively to the building of the Concert House! What a stench from the sewers! Women, who want to play at being friends of the arts, and by means of this comedy display the vilest filth, know how ‒ apparently in vilest self-defense ‒ to give the gesture an air of respectability! ⇧ Similar moral irrationalities: the Imperial-Royal Society of Friends of Music in Vienna hands out half a million Kronen for the building of the new Concert Hall, and has no money whatsoever for the training and promotion of artistic souls, who, in a creative way, would introduce new results ‒ also material ones ‒ to music!? 1 *⇧ An attractive invitation to collaboration on the part of Mr. Lubowsky, the editor of the Musiksalon in Berlin, turned down. 2 What ineptitude, considered commercially! First and foremost, it would have been his duty long ago, at his own instigation, to have acquainted the readers of his paper with my works, doing which alone would at the same time also have given him the exclusive right to approach me as an author already known to his readers, with a request for collaboration. Instead of grasping this, he naively adheres to what is more important [to him], that his journalistic activities should be promoted through me. What a quid pro quo! A servant considers himself the master and wishes to see his own interests at the forefront ‒ interests that are in truth certainly not {185} those of his master. I did, incidentally, express these ideas clearly to Mr. Karpath when he solicited an article from me for Mr. Spanuth ( Signale für die musikalischen Welt , Berlin). *A thoroughly naive article by music director Dr. Kunwald on the Ninth Symphony brings to my mind an evening passed in his company along with Fritz Wahle and Violin in a café on the Ringstraße. There he suddenly plunged into remorse that he had lived with Brahms in Vienna but had nevertheless underrated him. He said he couldn't understand today how he could possibly have considered Brahms merely as an imitator of Beethoven , and he offered by way of explanation and excuse that it might well have been the influence of his teacher Grädener, and not just that of his own lack of insight, that lay behind it. But I countered this: "With all due respect, the reason lies elsewhere: it was possible for you to underrate Brahms only because you had still not fully understood Beethoven. Anyone who understands Beethoven's art also knows that Brahms is no more of an imitator than, e.g., Bach was one! The article by Dr. Kunwald amply demonstrates that he has sadly remained where I met him all those years ago in that chance encounter. 3 *Even Rodin already knows to say that "Genius is order." *© Translation Ian Bent, 2020 |
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⇧ Frau Jenny Eissler u. Käthe Stirling-Wimmer haben mit 3000 bzw. 5000 Kr.den Betrag zum Bau des Konzertvereinshauses gezeichnet! Welcher Duft aus Cloake! Frauen, die Kunstfreundinnen spielen wollen, u. ärgsten Schmutz bei dieser Komödie an den Tag legen, wissen es – offenbar in ärgster Notwehr? – d ieer Pose einen ehrlichen Inhalt zu geben! ⇧ Zu denselb Ähnliche moralische Irrationalitäten : die K. K. Gesellschaft d. Musikfreunde in Wien gibt eine halbe Million Kronen für den Neubau des Konzertsa[a]les aus u. hat für den Auf- u. Ausbau von Künstlerseelen, die der Tonkunst schaffend neue, auch materielle Werte zuführen sollen, keinerlei Geld!? 1 *⇧ Eine liebenswürdige Aufforderung zur Mitarbeit seitens des Herausgebers des „Musiksalons“ in Berlin, Herrn Lubowsk iy abgelehnt. 2 Welche Untüchtigkeit kaufmännisch genommen! Statt zu begreifen, daß vor allem doch seine eigene Pflicht ⇧ es gewesen wäre, schon längst die Leser seines Blattes mit meinen Werken bekannt zu machen, was allein ihm zugleich auch das Recht gegeben hätte, an mich, als den seinen Lesern eben bereits bekannt gewordenen Autor, mit der Bitte um die Mitwirkung heranzutreten, hält er naiverweise für das Wichtigere, daß seine Jjournalistische Tätigkeit durch mich gefördert werde. Welches qui pro quo! Ein Diener hält sich für den Herrn u. wünscht seine eigenen Interessen in den Vordergrund gestellt zu wissen, die wahrhaftig doch nicht {185} die des Herrn sind. Ich habe übrigens diesen Gedanken deutlich ausgesprochen gegenüber Herrn Karpath als er mich um einen Aufsatz für Herrn Spanuth („Signale f. d. mus. Welt“, Berlin) angieng. *Ein überaus naiver Aufsatz über die IX. Symphonie von Kapellmeister Dr. Kunwald, bringt mir einen Abend in Erinnerung, den ich in seiner Gesellschaft mit Fritz Wahle u. Violin in einem Ringstraßencafé verbracht habe. Da geschah es, daß er plötzlich in Reue ausbrach, mit Brahms in Wien gelebt u. ihn dennoch verkannt zu haben. Er meinte, daß er es heute nicht begreifen könne, wie es möglich war, Brahms blos für einen Epigonen Beethovens zu halten u. führte zur Erklärung u. Entschuldigung an, daß offenbar der Einfluß seines Lehrers Grädener, wie auch nicht [?nur] der die eigene Einsichtslosigkeit die Gründe davon gewesen sein mochten. Darauf erwiederte [sic] ich aber: „Mit Verlaub der Grund ist ein anderer; nur weil Sie Beethoven noch gar nicht erfaßt haben, war es Ihnen möglich, Brahms zu verkennen. Wer Beethovens Kunst versteht, weiß auch daß Brahms ebensowenig Epigone ist, als z.B. Bach einer gewesen.” Der Aufsatz des Dr. Kunwald s beweist zur Genüge, daß er leider dort stehen geblieben, wo ich ihn vor Jahren zufällig antraf. 3 *Selbst Rodin weiß es bereits zu sagen daß „Genie Ordnung ist“.“ *© Transcription Ian Bent, 2020 |
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⇧ Mrs. Jenny Eissler and Käthe Stirling-Wimmer have subscribed 3,000 and 5,000 Kronen respectively to the building of the Concert House! What a stench from the sewers! Women, who want to play at being friends of the arts, and by means of this comedy display the vilest filth, know how ‒ apparently in vilest self-defense ‒ to give the gesture an air of respectability! ⇧ Similar moral irrationalities: the Imperial-Royal Society of Friends of Music in Vienna hands out half a million Kronen for the building of the new Concert Hall, and has no money whatsoever for the training and promotion of artistic souls, who, in a creative way, would introduce new results ‒ also material ones ‒ to music!? 1 *⇧ An attractive invitation to collaboration on the part of Mr. Lubowsky, the editor of the Musiksalon in Berlin, turned down. 2 What ineptitude, considered commercially! First and foremost, it would have been his duty long ago, at his own instigation, to have acquainted the readers of his paper with my works, doing which alone would at the same time also have given him the exclusive right to approach me as an author already known to his readers, with a request for collaboration. Instead of grasping this, he naively adheres to what is more important [to him], that his journalistic activities should be promoted through me. What a quid pro quo! A servant considers himself the master and wishes to see his own interests at the forefront ‒ interests that are in truth certainly not {185} those of his master. I did, incidentally, express these ideas clearly to Mr. Karpath when he solicited an article from me for Mr. Spanuth ( Signale für die musikalischen Welt , Berlin). *A thoroughly naive article by music director Dr. Kunwald on the Ninth Symphony brings to my mind an evening passed in his company along with Fritz Wahle and Violin in a café on the Ringstraße. There he suddenly plunged into remorse that he had lived with Brahms in Vienna but had nevertheless underrated him. He said he couldn't understand today how he could possibly have considered Brahms merely as an imitator of Beethoven , and he offered by way of explanation and excuse that it might well have been the influence of his teacher Grädener, and not just that of his own lack of insight, that lay behind it. But I countered this: "With all due respect, the reason lies elsewhere: it was possible for you to underrate Brahms only because you had still not fully understood Beethoven. Anyone who understands Beethoven's art also knows that Brahms is no more of an imitator than, e.g., Bach was one! The article by Dr. Kunwald amply demonstrates that he has sadly remained where I met him all those years ago in that chance encounter. 3 *Even Rodin already knows to say that "Genius is order." *© Translation Ian Bent, 2020 |
Footnotes1 Schenker speaks here of the Musikverein building, built by the Gesellschaft in 1863‒70, and which was undergoing a major refurbishment in 1911. Moreover, the Conservatory, founded by the Gesellschaft in 1814, had been taken over by the state in 1909, a move that Schenker deplored. 2 Der Musiksalon: Internationale Zeitschrift für Musik und Gesellschaft was published in Berlin in six volumes between 1909 and 1914. No correspondence between Schenker and Lubowsky is known to have survived.
3 The
event is recorded in Schenker's diary on April 9, 1907 (p. 37): "Nach dem Quartett
bei Gärtner mit Kpllm. Kunwald, Fritz u. Flz. im Caféh. Debatte über Brahms „Epigonentum“. Als Kunwald fragte, warum er da er jünger, u. noch in Wien
war, vor Allem nur das Epig. bei Brahms empfand, antwortete ich: „Nicht aber, weil Sie
Beeth., wie Sie zu meinen scheinen, verstanden
hätten, sondern weil Sie ihn eben noch gar nicht verstanden. Sonst hätten Sie
jederzeit aus dem Grunde dieses Verständnisses wohl auch die originelle Stellung
Brahms' zu seinen eigenen Problemen (von allen
vermeintlichen „Vorbildern“ etc. abgesehen) sehen
erkennen u. ermöglichen müssen.“ K. gab sich damit dieser Antwort zufrieden, trotzdem
sie ihn ohne Zweifel hat treffen müßte." |