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17. IX. 14

Die Berichte vom Schlachtfeld spärlich, aber um eine Nuançe heller.

*

Brief von Tante mit Beilage eines verzweifelten Briefes der Schwester. Nachmittags 5h Telegramm aus Budapest, das die Ankunft der Schwester samt Familie für abends ankündigt. Wir stürzen, Lie-Liechen, tapfer wie immer, auf Suche nach einen Zimmer, nachdem wir einen Plan der Einquartierung entworfen hatten. Ist Wohnungssuche in ruhiger Zeit anstrengend genug, so war sie diesmal, da wir bis höchstens ½8h damit fertig werden mußten, desto anstrengender. Zu dem Zudem brach ein furchtbares Gewitter los, so daß wir die letzten Anordnungen nur mit größter Mühe treffen konnten. Um ¾9h lief der Zug ein u. brachte die Flüchtlinge. Wir führten sie zuerst zu Lie-Liechen, wo sie gegessen haben u. verteilten dann Vater, Mutter u. die Kinder in die bereitgestellten Räume. Die Schwester ist über alle Erwartung abgehärmt u. offenbar vom schweren Schicksal heimgesucht. Es muß in der Tat zu ihrer Rechtfertigung, wenn sie überhaupt einer bedarf, gesagt werden, daß sie niemals blauen Himmel gesehen; weder erfuhr sie je die Gnade eines Wohlstandes, wie ihn Wilhelm u. Mosio u. bis zu einem gewissen Grade ich selbst erfahren haben. ; Nniemals auch wird sie jener höheren Gnade {712} teilhaftig, den (wirklich blauen) Himmel der Kunst zu sehen. Was sie über all dies Schicksal trägt ist offenbar nur eine glückliche Veranlagung zur Heiterkeit, die sich schon bei dem ersten besten Anlaß Bahn im Blute bricht. – Der Schwager, schwerfällig u. bequem wie immer, steht in einer Situation, wie der gegenwärtigen, sicher nur ungünstig ausgerüstet da. Der älteste Junge, dem die Mutter größte menschliche Güte u. Familienliebe nachrühmt, macht äußerlich den schlechtesten Eindruck; die körperliche Haltung sowie die Sprache sind ungepflegt; auch der Typus bedeutet irgend einen Rückschlag der offenbar von Vaters Seite herrührt. Das Mädchen gewinnt durch einen offenen Drang zur Mitteilung, wobei weniger Koketterie im Spiele ist, als es sonst bei Mädchen ihres Alters der Fall zu sein pflegt, wenn sie mitteilsam oder geschwätzig sind. Am vorteilhaftesten wirkt der Liebling der Eltern, Julko, dem ein hübscher anmutiger Ausdruck nachgerühmt werden kann. Im großen Ganzen fehlt der Familie meiner Schwester eine kulturelle ivierte Haltung, was indessen nicht auf ihre eigene Rechnung, sondern auf Rechnung des Himmelsstrichs zu setzen ist, unter dem sie lebt. Das Gemengsel von deutsch, jüdisch, polnisch, ruthenisch, rumänisch mit all den Zeichen wirtschaftlicher wie kultureller Unreife – wie sollte es sich ausdrücken, als man es eben in Galizien u. der Bukowina zu sehen gewohnt ist! ? ! Es fehlt in Allem an jener Ordnung, die einmal eben das erstemal vom Genie ausgeht, um hernach in die tieferen Schichten zu dringen. Noch hat sich aber weder den Polen, noch Juden, weder den Ruthenen oder noch Rumänen ein solches Genie offenbart, u. gerade der Deutsche, von dessen Sprache die jüdische zehrt, ist dort geographisch am entfernte gefährdesten.

Die Athmosphäre der Familie tat meinen Nerven weh, genau so weh, wie die Galiziens in meiner Jugend u. s. w. Indessen galt es hier die Pflicht zu erfüllen u. ich suchte nach Möglichkeit revoltierende Nerven zu bändigen.

*

© Transcription Marko Deisinger.

September 17, 1914.

The reports from the battlefield sparse, but a shade clearer.

*

Letter from my aunt, with a letter of despair from my sister enclosed. At 5 o'clock in the afternoon, a telegram from Budapest announcing the arrival of my sister and her family. We immediately start looking for a room – Lie-Liechen as valiantly as ever – after having drafted a plan for their accommodation. If the search for a place to live is difficult enough in quieter times, than it must have been all the more difficult this time since we had to be finished with it by 7:30. In addition, a frightful thunderstorm broke out, so that we made the final arrangements only with the greatest of efforts. At 8:45 the train arrived, bringing the refugees. We took them first to Lie-Liechen's place, where they ate, then distributed father, mother, and the children in the rooms prepared for them. My sister is pining with grief beyond all expectation, and evidently haunted by her harsh fate. It must in fact be said in her defense, if she needs one at all, that the sky has never been blue for her; she never experienced the grace of being well off, as Wilhelm or Mosio or to some extent I myself have experienced. And she will never take part in that higher grace {712} of seeing the Heaven of art. What she bears in spite of all her fate is apparently nothing more than a happy predisposition towards cheerfulness, which already breaks out at the first, best opportunity. – My brother-in-law, sluggish and comfortable as always, finds himself in a situation like the present one for which he is ill-equipped. The eldest son, whom his mother extols for his very great human goodness and familial love, makes a very poor outward impression: his posture and speech are uncultivated, and his character signifies a reversal, which evidently originates from his father's side. The daughter benefits from a sincere urge to communicate, in which flirtatiousness is less in play than one is accustomed to finding among girls of her age who are talkative or gossipy. Most favorably bestowed is the parents' darling, Julko, whose sweet, graceful expression may be extolled. By and large, my sister's family is lacking a cultivated manner, something which however should not be attributed to their own account but rather to their environment. The mishmash of German Jewish, Polish, Ruthenian and Rumanian, with all the marks of commercial and cultural immaturity: how could it be manifest other than what one is used to seeing verily in Galicia and the Bukovina?! There is everywhere missing that order that verily proceeds from genius at the outset, only to penetrate the lower layers afterwards. Not to the Poles nor to the Jews, not to the Ruthenians nor to the Rumanians, has such a genius yet been revealed; and precisely the German, whose language the Jewish tongue draws on, lies geographically most distant.

The family atmosphere grated on my nerves just as badly as those of Galicia in my youth, etc. However, it was necessary to do one's duty, and I sought to restrain my rebellious nerves as much as possible.

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© Translation William Drabkin.

17. IX. 14

Die Berichte vom Schlachtfeld spärlich, aber um eine Nuançe heller.

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Brief von Tante mit Beilage eines verzweifelten Briefes der Schwester. Nachmittags 5h Telegramm aus Budapest, das die Ankunft der Schwester samt Familie für abends ankündigt. Wir stürzen, Lie-Liechen, tapfer wie immer, auf Suche nach einen Zimmer, nachdem wir einen Plan der Einquartierung entworfen hatten. Ist Wohnungssuche in ruhiger Zeit anstrengend genug, so war sie diesmal, da wir bis höchstens ½8h damit fertig werden mußten, desto anstrengender. Zu dem Zudem brach ein furchtbares Gewitter los, so daß wir die letzten Anordnungen nur mit größter Mühe treffen konnten. Um ¾9h lief der Zug ein u. brachte die Flüchtlinge. Wir führten sie zuerst zu Lie-Liechen, wo sie gegessen haben u. verteilten dann Vater, Mutter u. die Kinder in die bereitgestellten Räume. Die Schwester ist über alle Erwartung abgehärmt u. offenbar vom schweren Schicksal heimgesucht. Es muß in der Tat zu ihrer Rechtfertigung, wenn sie überhaupt einer bedarf, gesagt werden, daß sie niemals blauen Himmel gesehen; weder erfuhr sie je die Gnade eines Wohlstandes, wie ihn Wilhelm u. Mosio u. bis zu einem gewissen Grade ich selbst erfahren haben. ; Nniemals auch wird sie jener höheren Gnade {712} teilhaftig, den (wirklich blauen) Himmel der Kunst zu sehen. Was sie über all dies Schicksal trägt ist offenbar nur eine glückliche Veranlagung zur Heiterkeit, die sich schon bei dem ersten besten Anlaß Bahn im Blute bricht. – Der Schwager, schwerfällig u. bequem wie immer, steht in einer Situation, wie der gegenwärtigen, sicher nur ungünstig ausgerüstet da. Der älteste Junge, dem die Mutter größte menschliche Güte u. Familienliebe nachrühmt, macht äußerlich den schlechtesten Eindruck; die körperliche Haltung sowie die Sprache sind ungepflegt; auch der Typus bedeutet irgend einen Rückschlag der offenbar von Vaters Seite herrührt. Das Mädchen gewinnt durch einen offenen Drang zur Mitteilung, wobei weniger Koketterie im Spiele ist, als es sonst bei Mädchen ihres Alters der Fall zu sein pflegt, wenn sie mitteilsam oder geschwätzig sind. Am vorteilhaftesten wirkt der Liebling der Eltern, Julko, dem ein hübscher anmutiger Ausdruck nachgerühmt werden kann. Im großen Ganzen fehlt der Familie meiner Schwester eine kulturelle ivierte Haltung, was indessen nicht auf ihre eigene Rechnung, sondern auf Rechnung des Himmelsstrichs zu setzen ist, unter dem sie lebt. Das Gemengsel von deutsch, jüdisch, polnisch, ruthenisch, rumänisch mit all den Zeichen wirtschaftlicher wie kultureller Unreife – wie sollte es sich ausdrücken, als man es eben in Galizien u. der Bukowina zu sehen gewohnt ist! ? ! Es fehlt in Allem an jener Ordnung, die einmal eben das erstemal vom Genie ausgeht, um hernach in die tieferen Schichten zu dringen. Noch hat sich aber weder den Polen, noch Juden, weder den Ruthenen oder noch Rumänen ein solches Genie offenbart, u. gerade der Deutsche, von dessen Sprache die jüdische zehrt, ist dort geographisch am entfernte gefährdesten.

Die Athmosphäre der Familie tat meinen Nerven weh, genau so weh, wie die Galiziens in meiner Jugend u. s. w. Indessen galt es hier die Pflicht zu erfüllen u. ich suchte nach Möglichkeit revoltierende Nerven zu bändigen.

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© Transcription Marko Deisinger.

September 17, 1914.

The reports from the battlefield sparse, but a shade clearer.

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Letter from my aunt, with a letter of despair from my sister enclosed. At 5 o'clock in the afternoon, a telegram from Budapest announcing the arrival of my sister and her family. We immediately start looking for a room – Lie-Liechen as valiantly as ever – after having drafted a plan for their accommodation. If the search for a place to live is difficult enough in quieter times, than it must have been all the more difficult this time since we had to be finished with it by 7:30. In addition, a frightful thunderstorm broke out, so that we made the final arrangements only with the greatest of efforts. At 8:45 the train arrived, bringing the refugees. We took them first to Lie-Liechen's place, where they ate, then distributed father, mother, and the children in the rooms prepared for them. My sister is pining with grief beyond all expectation, and evidently haunted by her harsh fate. It must in fact be said in her defense, if she needs one at all, that the sky has never been blue for her; she never experienced the grace of being well off, as Wilhelm or Mosio or to some extent I myself have experienced. And she will never take part in that higher grace {712} of seeing the Heaven of art. What she bears in spite of all her fate is apparently nothing more than a happy predisposition towards cheerfulness, which already breaks out at the first, best opportunity. – My brother-in-law, sluggish and comfortable as always, finds himself in a situation like the present one for which he is ill-equipped. The eldest son, whom his mother extols for his very great human goodness and familial love, makes a very poor outward impression: his posture and speech are uncultivated, and his character signifies a reversal, which evidently originates from his father's side. The daughter benefits from a sincere urge to communicate, in which flirtatiousness is less in play than one is accustomed to finding among girls of her age who are talkative or gossipy. Most favorably bestowed is the parents' darling, Julko, whose sweet, graceful expression may be extolled. By and large, my sister's family is lacking a cultivated manner, something which however should not be attributed to their own account but rather to their environment. The mishmash of German Jewish, Polish, Ruthenian and Rumanian, with all the marks of commercial and cultural immaturity: how could it be manifest other than what one is used to seeing verily in Galicia and the Bukovina?! There is everywhere missing that order that verily proceeds from genius at the outset, only to penetrate the lower layers afterwards. Not to the Poles nor to the Jews, not to the Ruthenians nor to the Rumanians, has such a genius yet been revealed; and precisely the German, whose language the Jewish tongue draws on, lies geographically most distant.

The family atmosphere grated on my nerves just as badly as those of Galicia in my youth, etc. However, it was necessary to do one's duty, and I sought to restrain my rebellious nerves as much as possible.

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© Translation William Drabkin.