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8.

Des Morgens bedeckt, bei großer Wärme sehr windig; nachmittag u. gegen aAbends wundervolle Stimmung bei oft tiefblauem Himmel. — An Sophie 10 Kronen für die Kinder, um ihnen eine ähnliche Freude zu bereiten, wie sie uns durch die Sendung bereitet wurde haben. —

*

Die Stilisierung alles menschlichen Beisammenseins, wie es sich in der künstlichen Kultur äußert, erfordert Stilisierung aller einzelnen Betätigungen u. Naturtriebe. Beinahe hat man es schon erlernt, alle organischen Funktionen in stilisierter Form zu üben, nur einzig u. allein die Liebe harrt noch der entsprechenden Stilisierung. Freilich ist in diesem Punkte die Mühe am schwersten u. der Rückfall in die Natur am leichtesten. Dieser b Was der Liebe innerhalb der der [sic] Kultur beigemischt wurde, ist bis heute lediglich die Eitelkeit gewesen, ein seelisches Gift, das seinen Ursprung im Mißverständnis der Kultur hat. Dieser bedenklich häßliche Zug fehlt, wenn der Mensch, statt sich bloß der Finger zu bedienen, die Gabel oder das Messer in die Hand nimmt, er fehlt auch, wenn der Mensch sich zur Ruhe ins Bett statt in eine Höhle begibt, kurz in jedweder Stilisierung aller übrigen Bedürfnisse fehlt glücklicherweise {460} jener Zusatz der Eitelkeit u. Heuchelei. Gerade nur aber die Liebe steht bis zur Stunde hauptsächlich auf Eitelkeit; diese ist es vor allem, die das Blut mischt u. aufpeitscht u. zum Geschlechtsakt antreibt. Ohne sie würde so manche erotische Leistung ungeschehen bleiben. Mit der Eitelkeit zieht aber auch Heuchelei in die erotische Betätigung ein. Possierlich ist es nun, wenn die Menschen die Eitelkeitsorgie schon Liebe nennen, wenn sie in der Folge wegen der darin enthaltenen Lüge mit sich selbst zerfallen, über die Liebe jammern u. sich nach der Natur sehnen! Wie unzufrieden wären sie aber erst, wenn die Natur nun wirklich neuerdings wieder ihre erotischen Triebe wieder in die ihre Hand nähme, wie sie sie es ursprünglich in der Hand hielt getan. Man gebe dem Menschen, wornach seine Sehnsucht geht, man gebe ihm die Liebe wie sie de rs Hundes, d aes Pferdes, d ieer Kuh, d ieer Taube, de rs Ellephanten [sic] kennen, kann wird er da wirklich zufriedener sein können als er es sein könnte müßte, wenn er sich der Liebe eben in stilisierter Form befleißigen würde könnte? Der flüchtige Augenblick des Aktes selbst, die kurze Dauer des Liebeslebens überhaupt, das rasche Absterben nach vollzogener Erneuerung des Geschlechtes, sind das wirklich Züge Wonnen der Natur, die uns lieber sein müßten, als die stilisierte Liebe, bei der wir bloß den einen Fingerzeig der Natur zugrunde legen? Noch begreift eben der Mensch nicht, welche Rolle im Haushalt der Natur die Liebe spielt. Was ist ihr das Einzelwesen mehr, als bloß Durchgangsform einer bestimmten Idee? Wie wenig ist ihr die einzelne Taube u. wie alles nur die Taube! Wie wenig ist ihr auch der einzelne Mensch u. alles nur der Mensch! Bei solcher Tendenz unterstreicht die Natur den Geschlechtsakt lediglich als Fortpflanzungsakt zum Behelfe der Erfüllung der Form.

Nun haben seit dem Bestande der Menschheit einige große Naturen, einige prometheische Seelen der Natur gegenüber den Menschen zu erhöhen versucht u. sie erfanden die Stilisierung als einzigen Schutz wider die Natur, . die sie Wie sie so z. B. diese nun auf allen Gebieten mit Erfolg zur Anwendung brachten. , das Feuer , in den Dienst des Menschen gestellt haben, das Dach, das Haus erfanden, die Sprache, die Kunst geschenkt haben, genauso ersannen sie auch eine Stilisierung der Liebe zum Schutze wider die Natur, die, des einzelnen Menschen mißachtend, ihn auch in bezug auf die Liebe kurz genug hält halten u. ihm {461} nur so viel gönnt en würde, als ihr zur Erreichung ihrer Ideenzwecke passt. Nur durch Stilisierung wird somit auch der Einzelmensch als solcher gleichsam Zweck der Natur, wenn ein Zweck, den sie zwar nicht ursprünglich gewollt, so sich doch aber mindestens nachträglich ihr vom Menschen imputier ten ließ. Und gegen eine solche Erhöhung, die in sich Erhöhung selbst auch der Fleischesfreuden enthält, sträuben sich die Menschen, bloß aus Unfähigkeit, Bosheit, Unverstand! Sie suchen gesteigerte Freude u. glauben sie törichterweise im Rückfall zur Natur zu finden, statt in der Steigerung der durch Stilisierung! Freilich, die Stilisierung fällt schwer. „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du lieben“ hätte es in der Bibel wohl auch von der Liebe heißen sollen! 1 So wollen denn die Menschen nur Liebe, aber nicht den jenen Schweiß, ohne welchen auch erhöhte Liebe nicht denkbar ist! Verzweifelt irren sie im Problem u. der Ausführung umher u. glauben ihr Heil in der Mischung der Prinzipien zu finden: ein bißchen wenig Stilisierung u. noch mehr Natur. Aber alles ist vergebens: der Preis des Glückes gebührt der stilisierten Form, davon abgesehen, daß sich eine Mischung in diesem Punkte gar nicht vollziehen läßt. Wer könnte sich z. B. die Technik eine ns idealisierten Walzers von Chopin mit der Technik Strauß’scher Tanzwalzer kombiniert vermischt denken? Widerspricht nicht das Potpour iri-artige hier der Kunst dort? Und könnte die Mischung zu einem befriedigenden harmonischen Ergebnis führen? Gewiß nicht! Ebensowenig aber läßt sich [sich] auch die Liebe in stilisierter Form mit d asem System der Thiere zu vereinen u. da heißt es: entweder nur Thier, ganz Thier oder liebend erhöhter Mensch. Die Wirkung des allgemeinen üblichen tierischen Verfahrens ist den Menschen zur Genüge bekannt, – das Glück der stilisierten Liebe ist nur erst wenigen bekannt geworden. Könnten nur aber diese wenigen den übrigen Millionen das Mittel an die Hand geben, zur notwendigen Stilisierung zu gelangen! —

*

Nach Tisch ein Stückchen kleiner Spaziergang zur Urania u. zurück. — An Fr. Gutherz (Br.): Anfrage wegen Hans. — Bilder von der Straße: In Abwesenheit des Scherenschleifers schleift ein Landsturmmann öffentlich-heimlich sein Taschenmesser. — Im Eingang zum Stadtpark steht genau in der Mitte eine Amsel u. versperrt den Weg, so klein wie sie ist; man hatte ordentlich das Gefühl, an ihr entweder links {462} oder rechts vorüberzugehen zu müssen, wenn man zum Stadtpark hinein wollte. —

— Als ich des Morgens von der Post nachhause ging, sah ich in der Strohgasse auf der Mauer des Modenaparkes einen alten Arbeiter, der wie er mit der Spitzhacke ausholte, [um] den ersten Ziegel der Oeffnung freizulegen, die künftig gegenüber dem Palais Windischgrä ztz als Parallelstraße von der Strohgasse in die Beatrixgasse führen wird.

*

Aus Wildgans ’ neuestem Drama: „Liebe“ druckt die „Oesterr. Rundschau“ den 1. Akt ab. 2 Vorläufig unerquicklich Schnitzlerisch, so daß mir wirklich bange wird, ob der Dichter selbst aus solche rn Prämissen einen selbst noch den Schluß wird ziehen können, den ich ihm nach seinen bisherigen Leistungen zugetraut hätte. — Ueber Prof. Schleich schreibt in der „Zukunft“ vom 29. IX. Emil Ludwig in überaus hochehrender Weise. 3 Von den Verdiensten Schleichs in praktischer Hinsicht abgesehen, machen mir indessen die von Ludwig mitgeteilten Proben eher den Eindruck eines Hermeneuten der Wissenschaft, der ein das Bild schon für die Realität gebraucht, ohne klares Bewußtsein davon, daß jenes bestenfalls nur eine poetische Figur ist vorstellt u. noch lange nicht die Lösung selbst. — bedeutet.

Kronstadt zurückerobert! 4

*

© Transcription Marko Deisinger.

8.

Overcast in the morning, very windy in the great warmth; in the afternoon and towards evening a wonderful atmosphere, with the sky often deep blue. To Sophie, 10 Kronen for the children, so that they may have a joy similar to that which we had from the package they sent us. —

*

The stylization of all human togetherness, as expressed in artificial culture, requires the stylization of all individual activities and natural drives. We have almost learned already to practice all organic functions in stylized form; it is just love, and only love, that still awaits the corresponding stylization. Of course on this point, the difficulties are greatest, and the reversion to nature the easiest. What was added to love within culture has, until today, simply been vanity, a spiritual poison that has its origins in the misunderstanding of culture. This ugly trait is missing when a person, instead of merely availing himself of his fingers, takes a fork or a knife in his hand; it is missing, too, when a person makes his way into a bed, not a cave, to rest; in short, in every stylization of all remaining necessities, {460} that addition of vanity and hypocrisy is fortunately absent. But it is precisely love, and love alone, that to this day relies upon vanity; this is the thing which, above all, mixes and stirs up the blood, and drives the sexual act. Without it, many an erotic act would go unperformed. With vanity, however, hypocrisy also enters into erotic activity. It is ridiculous, then, if people already call the orgy of vanity love, if in consequence of the lie contained therein they fall to pieces, complain about love, and yearn for nature! How dissatisfied, however, would they be if nature now actually took their erotic drives into its hands, as it originally did. Let a person be given that which his yearning aims at, let him have the love of a dog, a horse, a cow, a dove, an elephant; can he truly be more satisfied than he would have to be if he were able to make an effort at love in stylized form? The fleeting moment of the act itself, the short duration of the life of love itself, the rapid dying off after the complete renewal of the generation: are these really joys of nature that must be more welcome to us than stylized love, by which we merely use a hint of nature? People still do not understand the role played by love in the household of nature. What more is an individual to it than a mere transient form of a certain idea? How little is a single dove for it, when the doves [collectively] are everything! How little, too, is a single person for it, when the people are everything! With such a tendency, nature underscores the sexual act simply as an act of procreation, for the fulfillment of the species.

Now, since the existence of mankind, a few great characters, a few Promethean souls have tried to elevate man above nature; and they found stylization to be the single form of protection against nature. Just as, for example, they were successful in applying it in all spheres, placing fire in the service of man, inventing the roof, the house, granting them language and art, so they conceived also a stylization of love as protection against nature which, in disregard of the individual person, held him for a short enough time with respect to love {461} and granted him only so much as was necessary for the achievement of its conceptual purposes. It is only by stylization that individual persons as such thus become a kind of purpose of nature, a purpose which nature did not initially want but at least subsequently allowed to be imputed by them. And people resist such an elevation, which includes an elevation even of the joys of physical love, out of incapacity, malice, ignorance! They seek heightened joy and believe, foolishly, to find it in a reversion to nature instead of in the elevation achieved by stylization! To be sure, stylization is difficult. "In the sweat of thy face shalt thou live": the Bible ought to have said "love," too! 1 Thus people want love, but not that sweat without which elevated love is unthinkable! In desperation they struggle against the problem and its resolution, and they believe they have found salvation in a mixture of principles: a bit of stylization, and more nature. And yet everything is in vain: the prize of happiness is due to stylized form, apart from the fact that a mixture cannot at all be achieved in this matter. Who could, for example, conceive an idealized waltz by Chopin mixed with the technique of Strauss's dance waltzes? Do not the latter's potpourri qualities contradict the former's artistry? And could the mixture lead to a satisfactory synthesis? Surely not! Just as little, however, can love in stylized form be united with the system of animals, and that means: either only an animal and nothing but an animal, or a person elevated in love. The effect of the generally typical animalistic practice is sufficiently known to people; but the happiness of stylized love has become known to only a few. If only these few could make available to the remaining millions the means of achieving the necessary stylization! —

*

After lunch, a short walk to the Urania and back. — Letter to Mrs. Gutherz: enquiry about Hans. — Street images: in the absence of a scissors grinder, an army reservist sharpens his knife in public, [but] surreptitiously. — At the entrance to the city park, a blackbird stands right in the middle, blocking access in spite of being small; one verily has the feeling that one must go either to the left or the right of it {462} if one wants to gain access to the park. —

— While I was on my way home from the post office this morning, I saw an old workman on the wall of the Modena Park in the Strohgasse; he was wielding a pickaxe, to make an opening for the first brick that will used in the construction of a parallel street that will connect the Strohgasse to the Beatrixgasse, opposite the Palais Windisch-Graetz.

*

From Wildgans 's latest play, Love, the Oesterreichische Rundschau prints the first act. 2 At first sight it seems unpleasantly Schnitzlerian, so that I am truly concerned about whether the playwright will, on the basis of such premises, himself be able to draw the conclusion with which I would have credited him following his previous achievements. — In Die Zukunft of September 29, Emil Ludwig writes about Prof. Schleich in a thoroughly adulatory way. 3 In spite of Schleich's services from a practical viewpoint, the tests communicated by Ludwig rather give me the impression of a hermeneut of science, who takes the image to be the reality without clearly understanding that the former represents at best a poetic figure and is far from signifying the solution itself.

Kronstadt retaken! 4

*

© Translation William Drabkin.

8.

Des Morgens bedeckt, bei großer Wärme sehr windig; nachmittag u. gegen aAbends wundervolle Stimmung bei oft tiefblauem Himmel. — An Sophie 10 Kronen für die Kinder, um ihnen eine ähnliche Freude zu bereiten, wie sie uns durch die Sendung bereitet wurde haben. —

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Die Stilisierung alles menschlichen Beisammenseins, wie es sich in der künstlichen Kultur äußert, erfordert Stilisierung aller einzelnen Betätigungen u. Naturtriebe. Beinahe hat man es schon erlernt, alle organischen Funktionen in stilisierter Form zu üben, nur einzig u. allein die Liebe harrt noch der entsprechenden Stilisierung. Freilich ist in diesem Punkte die Mühe am schwersten u. der Rückfall in die Natur am leichtesten. Dieser b Was der Liebe innerhalb der der [sic] Kultur beigemischt wurde, ist bis heute lediglich die Eitelkeit gewesen, ein seelisches Gift, das seinen Ursprung im Mißverständnis der Kultur hat. Dieser bedenklich häßliche Zug fehlt, wenn der Mensch, statt sich bloß der Finger zu bedienen, die Gabel oder das Messer in die Hand nimmt, er fehlt auch, wenn der Mensch sich zur Ruhe ins Bett statt in eine Höhle begibt, kurz in jedweder Stilisierung aller übrigen Bedürfnisse fehlt glücklicherweise {460} jener Zusatz der Eitelkeit u. Heuchelei. Gerade nur aber die Liebe steht bis zur Stunde hauptsächlich auf Eitelkeit; diese ist es vor allem, die das Blut mischt u. aufpeitscht u. zum Geschlechtsakt antreibt. Ohne sie würde so manche erotische Leistung ungeschehen bleiben. Mit der Eitelkeit zieht aber auch Heuchelei in die erotische Betätigung ein. Possierlich ist es nun, wenn die Menschen die Eitelkeitsorgie schon Liebe nennen, wenn sie in der Folge wegen der darin enthaltenen Lüge mit sich selbst zerfallen, über die Liebe jammern u. sich nach der Natur sehnen! Wie unzufrieden wären sie aber erst, wenn die Natur nun wirklich neuerdings wieder ihre erotischen Triebe wieder in die ihre Hand nähme, wie sie sie es ursprünglich in der Hand hielt getan. Man gebe dem Menschen, wornach seine Sehnsucht geht, man gebe ihm die Liebe wie sie de rs Hundes, d aes Pferdes, d ieer Kuh, d ieer Taube, de rs Ellephanten [sic] kennen, kann wird er da wirklich zufriedener sein können als er es sein könnte müßte, wenn er sich der Liebe eben in stilisierter Form befleißigen würde könnte? Der flüchtige Augenblick des Aktes selbst, die kurze Dauer des Liebeslebens überhaupt, das rasche Absterben nach vollzogener Erneuerung des Geschlechtes, sind das wirklich Züge Wonnen der Natur, die uns lieber sein müßten, als die stilisierte Liebe, bei der wir bloß den einen Fingerzeig der Natur zugrunde legen? Noch begreift eben der Mensch nicht, welche Rolle im Haushalt der Natur die Liebe spielt. Was ist ihr das Einzelwesen mehr, als bloß Durchgangsform einer bestimmten Idee? Wie wenig ist ihr die einzelne Taube u. wie alles nur die Taube! Wie wenig ist ihr auch der einzelne Mensch u. alles nur der Mensch! Bei solcher Tendenz unterstreicht die Natur den Geschlechtsakt lediglich als Fortpflanzungsakt zum Behelfe der Erfüllung der Form.

Nun haben seit dem Bestande der Menschheit einige große Naturen, einige prometheische Seelen der Natur gegenüber den Menschen zu erhöhen versucht u. sie erfanden die Stilisierung als einzigen Schutz wider die Natur, . die sie Wie sie so z. B. diese nun auf allen Gebieten mit Erfolg zur Anwendung brachten. , das Feuer , in den Dienst des Menschen gestellt haben, das Dach, das Haus erfanden, die Sprache, die Kunst geschenkt haben, genauso ersannen sie auch eine Stilisierung der Liebe zum Schutze wider die Natur, die, des einzelnen Menschen mißachtend, ihn auch in bezug auf die Liebe kurz genug hält halten u. ihm {461} nur so viel gönnt en würde, als ihr zur Erreichung ihrer Ideenzwecke passt. Nur durch Stilisierung wird somit auch der Einzelmensch als solcher gleichsam Zweck der Natur, wenn ein Zweck, den sie zwar nicht ursprünglich gewollt, so sich doch aber mindestens nachträglich ihr vom Menschen imputier ten ließ. Und gegen eine solche Erhöhung, die in sich Erhöhung selbst auch der Fleischesfreuden enthält, sträuben sich die Menschen, bloß aus Unfähigkeit, Bosheit, Unverstand! Sie suchen gesteigerte Freude u. glauben sie törichterweise im Rückfall zur Natur zu finden, statt in der Steigerung der durch Stilisierung! Freilich, die Stilisierung fällt schwer. „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du lieben“ hätte es in der Bibel wohl auch von der Liebe heißen sollen! 1 So wollen denn die Menschen nur Liebe, aber nicht den jenen Schweiß, ohne welchen auch erhöhte Liebe nicht denkbar ist! Verzweifelt irren sie im Problem u. der Ausführung umher u. glauben ihr Heil in der Mischung der Prinzipien zu finden: ein bißchen wenig Stilisierung u. noch mehr Natur. Aber alles ist vergebens: der Preis des Glückes gebührt der stilisierten Form, davon abgesehen, daß sich eine Mischung in diesem Punkte gar nicht vollziehen läßt. Wer könnte sich z. B. die Technik eine ns idealisierten Walzers von Chopin mit der Technik Strauß’scher Tanzwalzer kombiniert vermischt denken? Widerspricht nicht das Potpour iri-artige hier der Kunst dort? Und könnte die Mischung zu einem befriedigenden harmonischen Ergebnis führen? Gewiß nicht! Ebensowenig aber läßt sich [sich] auch die Liebe in stilisierter Form mit d asem System der Thiere zu vereinen u. da heißt es: entweder nur Thier, ganz Thier oder liebend erhöhter Mensch. Die Wirkung des allgemeinen üblichen tierischen Verfahrens ist den Menschen zur Genüge bekannt, – das Glück der stilisierten Liebe ist nur erst wenigen bekannt geworden. Könnten nur aber diese wenigen den übrigen Millionen das Mittel an die Hand geben, zur notwendigen Stilisierung zu gelangen! —

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Nach Tisch ein Stückchen kleiner Spaziergang zur Urania u. zurück. — An Fr. Gutherz (Br.): Anfrage wegen Hans. — Bilder von der Straße: In Abwesenheit des Scherenschleifers schleift ein Landsturmmann öffentlich-heimlich sein Taschenmesser. — Im Eingang zum Stadtpark steht genau in der Mitte eine Amsel u. versperrt den Weg, so klein wie sie ist; man hatte ordentlich das Gefühl, an ihr entweder links {462} oder rechts vorüberzugehen zu müssen, wenn man zum Stadtpark hinein wollte. —

— Als ich des Morgens von der Post nachhause ging, sah ich in der Strohgasse auf der Mauer des Modenaparkes einen alten Arbeiter, der wie er mit der Spitzhacke ausholte, [um] den ersten Ziegel der Oeffnung freizulegen, die künftig gegenüber dem Palais Windischgrä ztz als Parallelstraße von der Strohgasse in die Beatrixgasse führen wird.

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Aus Wildgans ’ neuestem Drama: „Liebe“ druckt die „Oesterr. Rundschau“ den 1. Akt ab. 2 Vorläufig unerquicklich Schnitzlerisch, so daß mir wirklich bange wird, ob der Dichter selbst aus solche rn Prämissen einen selbst noch den Schluß wird ziehen können, den ich ihm nach seinen bisherigen Leistungen zugetraut hätte. — Ueber Prof. Schleich schreibt in der „Zukunft“ vom 29. IX. Emil Ludwig in überaus hochehrender Weise. 3 Von den Verdiensten Schleichs in praktischer Hinsicht abgesehen, machen mir indessen die von Ludwig mitgeteilten Proben eher den Eindruck eines Hermeneuten der Wissenschaft, der ein das Bild schon für die Realität gebraucht, ohne klares Bewußtsein davon, daß jenes bestenfalls nur eine poetische Figur ist vorstellt u. noch lange nicht die Lösung selbst. — bedeutet.

Kronstadt zurückerobert! 4

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© Transcription Marko Deisinger.

8.

Overcast in the morning, very windy in the great warmth; in the afternoon and towards evening a wonderful atmosphere, with the sky often deep blue. To Sophie, 10 Kronen for the children, so that they may have a joy similar to that which we had from the package they sent us. —

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The stylization of all human togetherness, as expressed in artificial culture, requires the stylization of all individual activities and natural drives. We have almost learned already to practice all organic functions in stylized form; it is just love, and only love, that still awaits the corresponding stylization. Of course on this point, the difficulties are greatest, and the reversion to nature the easiest. What was added to love within culture has, until today, simply been vanity, a spiritual poison that has its origins in the misunderstanding of culture. This ugly trait is missing when a person, instead of merely availing himself of his fingers, takes a fork or a knife in his hand; it is missing, too, when a person makes his way into a bed, not a cave, to rest; in short, in every stylization of all remaining necessities, {460} that addition of vanity and hypocrisy is fortunately absent. But it is precisely love, and love alone, that to this day relies upon vanity; this is the thing which, above all, mixes and stirs up the blood, and drives the sexual act. Without it, many an erotic act would go unperformed. With vanity, however, hypocrisy also enters into erotic activity. It is ridiculous, then, if people already call the orgy of vanity love, if in consequence of the lie contained therein they fall to pieces, complain about love, and yearn for nature! How dissatisfied, however, would they be if nature now actually took their erotic drives into its hands, as it originally did. Let a person be given that which his yearning aims at, let him have the love of a dog, a horse, a cow, a dove, an elephant; can he truly be more satisfied than he would have to be if he were able to make an effort at love in stylized form? The fleeting moment of the act itself, the short duration of the life of love itself, the rapid dying off after the complete renewal of the generation: are these really joys of nature that must be more welcome to us than stylized love, by which we merely use a hint of nature? People still do not understand the role played by love in the household of nature. What more is an individual to it than a mere transient form of a certain idea? How little is a single dove for it, when the doves [collectively] are everything! How little, too, is a single person for it, when the people are everything! With such a tendency, nature underscores the sexual act simply as an act of procreation, for the fulfillment of the species.

Now, since the existence of mankind, a few great characters, a few Promethean souls have tried to elevate man above nature; and they found stylization to be the single form of protection against nature. Just as, for example, they were successful in applying it in all spheres, placing fire in the service of man, inventing the roof, the house, granting them language and art, so they conceived also a stylization of love as protection against nature which, in disregard of the individual person, held him for a short enough time with respect to love {461} and granted him only so much as was necessary for the achievement of its conceptual purposes. It is only by stylization that individual persons as such thus become a kind of purpose of nature, a purpose which nature did not initially want but at least subsequently allowed to be imputed by them. And people resist such an elevation, which includes an elevation even of the joys of physical love, out of incapacity, malice, ignorance! They seek heightened joy and believe, foolishly, to find it in a reversion to nature instead of in the elevation achieved by stylization! To be sure, stylization is difficult. "In the sweat of thy face shalt thou live": the Bible ought to have said "love," too! 1 Thus people want love, but not that sweat without which elevated love is unthinkable! In desperation they struggle against the problem and its resolution, and they believe they have found salvation in a mixture of principles: a bit of stylization, and more nature. And yet everything is in vain: the prize of happiness is due to stylized form, apart from the fact that a mixture cannot at all be achieved in this matter. Who could, for example, conceive an idealized waltz by Chopin mixed with the technique of Strauss's dance waltzes? Do not the latter's potpourri qualities contradict the former's artistry? And could the mixture lead to a satisfactory synthesis? Surely not! Just as little, however, can love in stylized form be united with the system of animals, and that means: either only an animal and nothing but an animal, or a person elevated in love. The effect of the generally typical animalistic practice is sufficiently known to people; but the happiness of stylized love has become known to only a few. If only these few could make available to the remaining millions the means of achieving the necessary stylization! —

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After lunch, a short walk to the Urania and back. — Letter to Mrs. Gutherz: enquiry about Hans. — Street images: in the absence of a scissors grinder, an army reservist sharpens his knife in public, [but] surreptitiously. — At the entrance to the city park, a blackbird stands right in the middle, blocking access in spite of being small; one verily has the feeling that one must go either to the left or the right of it {462} if one wants to gain access to the park. —

— While I was on my way home from the post office this morning, I saw an old workman on the wall of the Modena Park in the Strohgasse; he was wielding a pickaxe, to make an opening for the first brick that will used in the construction of a parallel street that will connect the Strohgasse to the Beatrixgasse, opposite the Palais Windisch-Graetz.

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From Wildgans 's latest play, Love, the Oesterreichische Rundschau prints the first act. 2 At first sight it seems unpleasantly Schnitzlerian, so that I am truly concerned about whether the playwright will, on the basis of such premises, himself be able to draw the conclusion with which I would have credited him following his previous achievements. — In Die Zukunft of September 29, Emil Ludwig writes about Prof. Schleich in a thoroughly adulatory way. 3 In spite of Schleich's services from a practical viewpoint, the tests communicated by Ludwig rather give me the impression of a hermeneut of science, who takes the image to be the reality without clearly understanding that the former represents at best a poetic figure and is far from signifying the solution itself.

Kronstadt retaken! 4

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 The complete verse (Genesis 3:19) reads: "in the sweat of thy face shalt thou eat bread, till thou return unto the ground; for out of it wast thou taken: for dust thou art, and unto dust shalt thou return."

2 Anton Wildgans, "Liebe. Eine Tragödie in 5 Akten (Actus primus)," Österreichische Rundschau 49 (1916), pp. 28-37.

3 Emil Ludwig, "Rathenau und Schleich," Die Zukunft 96 (1916), pp. 378-391.

4 "Kronstadt in unserem Besitz!," Neues Wiener Tagblatt, No. 279, October 8, 1916, 50th year, extra edition, p. 1.