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23. +3°, Regen, kalt.

Onkel bringt gegen ½12h Nachricht von M., daß er zwischen 3–4h bei mir erscheinen werde. In der Tat erschien er gegen 4h, um bis gegen ½6h zu bleiben. Sichtlich aufgeregt plauderte er zunächst drauf los über Hans, Dinge, die ihm nur zum Nachteil gerechnet werden könnten konnten, doch bald fanden wir uns alle zurecht. Zunächst forderte ich ihm einen schriftlichen Gruß an die Mama ab, verein- {657} barte mit ihm eine gemeinsame Reise nach Kautzen als letzte seinerseits zu bietende Genugtuung. Auch regte ich bei dieser Gelegenheit die Frage der Ueberführung der Mama nach J Wien an, worauf er sich zur alleinigen Tragung der Kosten bereit erklärte. Der Sicherheit halber trug er mir ein Akkreditiv bei seiner Bank an, auf Kronen 6000 lautend. Außerdem lenkte ich seine Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit, die Kinder der Sophie im Auge zu behalten u. zwar aus Gründen, die auch für ihn selbst Vorteile bieten. Auch in diesem Punkte erklärte sich M. ohneweiters bereit, eine Anstellung der Kinder in der Bank durchzusetzen. Dazwischen wurde über dies u. jenes gesprochen, meist war es M., der aus Vergangenheit u. Gegenwart erzählte u. zwar offenbar mehr mit aus der Absicht, seiner inneren Erregung ein Ventil zu verschaffen. In kurzen Umrissen konnten wir so einen Einblick in die ersten Jahre in [sic] Alexandrien und in Bukarest gewinnen, Schlüsse auch in die Zukunft ziehen, namentlich aus seinem Plane, nach dem Krieg Bukarest mit Familie zu verlassen, wofür er die entscheidenden ersten Schritte schon gemacht habe, indem er Haus u. Garten in Baden für sich u. seine Familie käuflich an sich brachte. So wäre es denn nicht undenkbar wahrscheinlich, daß die Wiederannäherung an uns ihren letzten Grund in dem örtlichen Beisammensein in Wien finden mag, das auf die Dauer eine Isolierung, wie er sie bisher geübt, hier bereits unmöglich machen würde müßte. So manches erzählte er sonst von seiner großen Genugtuung über die Verbindungen, die die Stellung mit sich bringt, wie endlich auch über die praktischen Vorteile, nur fügte er aber doch freilich nur für unseren Gebrauch auch dieses auch bei, der Beruf sei nur zwar praktisch, im Grunde aber häßlich, denn alles beruhe auf Schwindel u. der Ausnutzung des Volkes. Endlich versprach er uns auch die Frau vorzuführen. —

Nachdem M. weggegangen setzten wir ein Telegramm an Sophie auf, das die bestimmte Zusage Mozios an ihre Kinder zum Ausdruck brachte. — An Wilhelm (Br.): den mit Bleistift aufgesetzten Grüßen von uns dreien füge ich in Eile mit Tinte die Nach- {658} richt bei, daß Mozio die Kosten der Ueberführung auf sich genommen habe, woran ich die Bitte schließe, der Mutter endlich zu einer Beruhigung zu verhelfen; unseren Besuch kündige ich für Mitte Mai an. — An die Kohlenhandlung Winternitz (K.): bestelle 10 Säcke Kohle. — An Einschenk (K.): berichte über Mozios Besuch u. kündige den unsrigen nach unserer Rückkehr aus K. an. — Der Reiche: Das jedem Lebewesen eingeborene Bedürfnis nach Man[n]igfaltigkeit befriedigt der Reiche, da er die Variationen nicht eben aus seinem eigenen Kopfe beziehen kann, dadurch, daß er ersatzweise blos Besuche, blos Kleider wechselt, – wenn schon eben nun einmal etwas gewechselt werden muß. — Zukunft der Menschheit: Ein Zerfall in Individuen stellt aber die Kultur durchaus in Frage. Bei angeborener Trägheit u. Unfähigkeit der Menschen wäre zu befürchten, daß sie einfach zum Tierstand zurückkehren, aus dem sie gekommen. Der Einzelne, auf sich selbst gestellt, sich nur selbst allein zu Maß u. Ziel aller Betrachtungen machend, würde ohne Zweifel allen Kräften entgegenwirken, die im Dienst der Synthese auch Früchte der Synthese hervorzubringen geeignet sind. Die Tragödie der Menschheit liegt also streng genommen darin, daß weder die Reichen der Kultur-Synthese dienen können, wenn sie in derselben Art wie bis heute fortfahren, sich mit ihren nach Maßgabe ihres Egoismus, ihrer Genußsucht u. sonstiger durch den Reichtum herabgeminderten Fähigkeiten abzufinden, daß anderseits wohl aber auch die Reichen Armen von der Kultur sich entfernen müssen, sofern sie, mehr auf ihr Einzellos bedacht , u. sonst auch wirtschaftlich wie sozial gehemmt, mit Absicht das Individuum gegen die staatliche u. kulturelle Synthese betonen. Die Kultur ist eben am besten gleichsam in der Mitte des Menschengeschlechtes aufgehoben bei denjenigen, die nicht zu arm u. auch nicht zu reich sind.

© Transcription Marko Deisinger.

23. +3°, rain, cold.

— Towards 11:30, my uncle brings news from Mozio: he will appear at my place between 3 and 4 o'clock. In the event, he appeared towards 4 o'clock, in order to stay until about 5:30. Visibly excited, he chatted first about Hans, saying things that could only be reckoned to his disadvantage; but we all soon settled down. At first, I demanded that he send a written greeting to our mother; {657} I agreed with him on a communal trip to Kautzen as the final compensation offered on his part. I also took the opportunity to raise the question of transferring Mama to Vienna, for which he declared that he would be prepared to bear the costs himself. For sake of assurance, he proposed a letter of credit for me at his bank, of the sum of 6,000 Kronen. In addition, I steered his attention towards the necessity of keeping an eye on Sophie's children, and indeed for reasons that would be of benefit even to himself. On this point, too, Mozio declared himself prepared, without further ado, to establish an account for the children at the bank. In between we spoke about all sorts of things; it was mainly Mozio who recounted things from the past and about the present, and who appeared to be speaking more with the intention of creating an outlet for his inner excitement. We were able, in brief summaries, to gain an insight into his early years in Alexandria and Bucharest, to draw conclusions about the future, in particular from his plan to leave Bucharest with his family when the war is over – for this he has already taken the first decisive steps, by buying a house and garden for himself and his family in Baden. So it is not improbable that his rapprochement with us may find its ultimate basis in our regional togetherness in Vienna, which would have to make an isolation, as he has hitherto practiced, quite impossible here. He otherwise spoke of his great satisfaction over the connections that his position brought with it, and also about the practical advantages; but he added – though of course only for our benefit – that his profession, though practical, was also an ugly one, for everything is based on swindling and the exploitation of ordinary people. Finally, he promised to introduce us to his wife. —

After Mozio had left, we sent a telegram to Sophie that conveyed the promise made by Mozio to her children. — Letter to Wilhelm: to the greetings written in pencil from the three of us, I hurriedly add the news, in pen, {658} that Mozio will take care of the costs of relocating [Mama], to which I add the request to help our mother finally be reassured; I announce our visit for the middle of May. — Postcard to the coal supplier Winternitz : I order ten sacks of coal. — Postcard to Einschenk: I give a report of Mozio's visit, and say that we shall visit him after we return from Kautzen. — The rich man: the rich man panders to the need for variety that is inherent in every living being, since he cannot by himself correlate the variations by changing mere visits, mere clothes by way of substitution – if anything actually needs to be changed. — The future of humanity: a collapse in individuality, however, places culture in serious jeopardy. On account of the innate laziness and incompetence of people, one fears that they would simply return to the state of animality. The individual, placed on his own, making himself alone that measure and goal of all contemplations, would without doubt work against all the powers that, in the service of synthesis, are appropriate also to produce the fruits of synthesis. The tragedy of humanity, strictly speaking, lies in the fact that neither the rich can serve cultural synthesis if they continue in the same way as they have done up to now by reconciling themselves in accordance with their egoism, their craving for enjoyment, and other qualities minimized by wealth, but that on the other hand the poor must also distance themselves from culture, insofar as they, more mindful of their individual lot and also financially and socially restricted, deliberately emphasize the individual against public and cultural synthesis. Culture is actually best preserved at the middle level of the human race, among those who are not too poor and also not too rich.

© Translation William Drabkin.

23. +3°, Regen, kalt.

Onkel bringt gegen ½12h Nachricht von M., daß er zwischen 3–4h bei mir erscheinen werde. In der Tat erschien er gegen 4h, um bis gegen ½6h zu bleiben. Sichtlich aufgeregt plauderte er zunächst drauf los über Hans, Dinge, die ihm nur zum Nachteil gerechnet werden könnten konnten, doch bald fanden wir uns alle zurecht. Zunächst forderte ich ihm einen schriftlichen Gruß an die Mama ab, verein- {657} barte mit ihm eine gemeinsame Reise nach Kautzen als letzte seinerseits zu bietende Genugtuung. Auch regte ich bei dieser Gelegenheit die Frage der Ueberführung der Mama nach J Wien an, worauf er sich zur alleinigen Tragung der Kosten bereit erklärte. Der Sicherheit halber trug er mir ein Akkreditiv bei seiner Bank an, auf Kronen 6000 lautend. Außerdem lenkte ich seine Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit, die Kinder der Sophie im Auge zu behalten u. zwar aus Gründen, die auch für ihn selbst Vorteile bieten. Auch in diesem Punkte erklärte sich M. ohneweiters bereit, eine Anstellung der Kinder in der Bank durchzusetzen. Dazwischen wurde über dies u. jenes gesprochen, meist war es M., der aus Vergangenheit u. Gegenwart erzählte u. zwar offenbar mehr mit aus der Absicht, seiner inneren Erregung ein Ventil zu verschaffen. In kurzen Umrissen konnten wir so einen Einblick in die ersten Jahre in [sic] Alexandrien und in Bukarest gewinnen, Schlüsse auch in die Zukunft ziehen, namentlich aus seinem Plane, nach dem Krieg Bukarest mit Familie zu verlassen, wofür er die entscheidenden ersten Schritte schon gemacht habe, indem er Haus u. Garten in Baden für sich u. seine Familie käuflich an sich brachte. So wäre es denn nicht undenkbar wahrscheinlich, daß die Wiederannäherung an uns ihren letzten Grund in dem örtlichen Beisammensein in Wien finden mag, das auf die Dauer eine Isolierung, wie er sie bisher geübt, hier bereits unmöglich machen würde müßte. So manches erzählte er sonst von seiner großen Genugtuung über die Verbindungen, die die Stellung mit sich bringt, wie endlich auch über die praktischen Vorteile, nur fügte er aber doch freilich nur für unseren Gebrauch auch dieses auch bei, der Beruf sei nur zwar praktisch, im Grunde aber häßlich, denn alles beruhe auf Schwindel u. der Ausnutzung des Volkes. Endlich versprach er uns auch die Frau vorzuführen. —

Nachdem M. weggegangen setzten wir ein Telegramm an Sophie auf, das die bestimmte Zusage Mozios an ihre Kinder zum Ausdruck brachte. — An Wilhelm (Br.): den mit Bleistift aufgesetzten Grüßen von uns dreien füge ich in Eile mit Tinte die Nach- {658} richt bei, daß Mozio die Kosten der Ueberführung auf sich genommen habe, woran ich die Bitte schließe, der Mutter endlich zu einer Beruhigung zu verhelfen; unseren Besuch kündige ich für Mitte Mai an. — An die Kohlenhandlung Winternitz (K.): bestelle 10 Säcke Kohle. — An Einschenk (K.): berichte über Mozios Besuch u. kündige den unsrigen nach unserer Rückkehr aus K. an. — Der Reiche: Das jedem Lebewesen eingeborene Bedürfnis nach Man[n]igfaltigkeit befriedigt der Reiche, da er die Variationen nicht eben aus seinem eigenen Kopfe beziehen kann, dadurch, daß er ersatzweise blos Besuche, blos Kleider wechselt, – wenn schon eben nun einmal etwas gewechselt werden muß. — Zukunft der Menschheit: Ein Zerfall in Individuen stellt aber die Kultur durchaus in Frage. Bei angeborener Trägheit u. Unfähigkeit der Menschen wäre zu befürchten, daß sie einfach zum Tierstand zurückkehren, aus dem sie gekommen. Der Einzelne, auf sich selbst gestellt, sich nur selbst allein zu Maß u. Ziel aller Betrachtungen machend, würde ohne Zweifel allen Kräften entgegenwirken, die im Dienst der Synthese auch Früchte der Synthese hervorzubringen geeignet sind. Die Tragödie der Menschheit liegt also streng genommen darin, daß weder die Reichen der Kultur-Synthese dienen können, wenn sie in derselben Art wie bis heute fortfahren, sich mit ihren nach Maßgabe ihres Egoismus, ihrer Genußsucht u. sonstiger durch den Reichtum herabgeminderten Fähigkeiten abzufinden, daß anderseits wohl aber auch die Reichen Armen von der Kultur sich entfernen müssen, sofern sie, mehr auf ihr Einzellos bedacht , u. sonst auch wirtschaftlich wie sozial gehemmt, mit Absicht das Individuum gegen die staatliche u. kulturelle Synthese betonen. Die Kultur ist eben am besten gleichsam in der Mitte des Menschengeschlechtes aufgehoben bei denjenigen, die nicht zu arm u. auch nicht zu reich sind.

© Transcription Marko Deisinger.

23. +3°, rain, cold.

— Towards 11:30, my uncle brings news from Mozio: he will appear at my place between 3 and 4 o'clock. In the event, he appeared towards 4 o'clock, in order to stay until about 5:30. Visibly excited, he chatted first about Hans, saying things that could only be reckoned to his disadvantage; but we all soon settled down. At first, I demanded that he send a written greeting to our mother; {657} I agreed with him on a communal trip to Kautzen as the final compensation offered on his part. I also took the opportunity to raise the question of transferring Mama to Vienna, for which he declared that he would be prepared to bear the costs himself. For sake of assurance, he proposed a letter of credit for me at his bank, of the sum of 6,000 Kronen. In addition, I steered his attention towards the necessity of keeping an eye on Sophie's children, and indeed for reasons that would be of benefit even to himself. On this point, too, Mozio declared himself prepared, without further ado, to establish an account for the children at the bank. In between we spoke about all sorts of things; it was mainly Mozio who recounted things from the past and about the present, and who appeared to be speaking more with the intention of creating an outlet for his inner excitement. We were able, in brief summaries, to gain an insight into his early years in Alexandria and Bucharest, to draw conclusions about the future, in particular from his plan to leave Bucharest with his family when the war is over – for this he has already taken the first decisive steps, by buying a house and garden for himself and his family in Baden. So it is not improbable that his rapprochement with us may find its ultimate basis in our regional togetherness in Vienna, which would have to make an isolation, as he has hitherto practiced, quite impossible here. He otherwise spoke of his great satisfaction over the connections that his position brought with it, and also about the practical advantages; but he added – though of course only for our benefit – that his profession, though practical, was also an ugly one, for everything is based on swindling and the exploitation of ordinary people. Finally, he promised to introduce us to his wife. —

After Mozio had left, we sent a telegram to Sophie that conveyed the promise made by Mozio to her children. — Letter to Wilhelm: to the greetings written in pencil from the three of us, I hurriedly add the news, in pen, {658} that Mozio will take care of the costs of relocating [Mama], to which I add the request to help our mother finally be reassured; I announce our visit for the middle of May. — Postcard to the coal supplier Winternitz : I order ten sacks of coal. — Postcard to Einschenk: I give a report of Mozio's visit, and say that we shall visit him after we return from Kautzen. — The rich man: the rich man panders to the need for variety that is inherent in every living being, since he cannot by himself correlate the variations by changing mere visits, mere clothes by way of substitution – if anything actually needs to be changed. — The future of humanity: a collapse in individuality, however, places culture in serious jeopardy. On account of the innate laziness and incompetence of people, one fears that they would simply return to the state of animality. The individual, placed on his own, making himself alone that measure and goal of all contemplations, would without doubt work against all the powers that, in the service of synthesis, are appropriate also to produce the fruits of synthesis. The tragedy of humanity, strictly speaking, lies in the fact that neither the rich can serve cultural synthesis if they continue in the same way as they have done up to now by reconciling themselves in accordance with their egoism, their craving for enjoyment, and other qualities minimized by wealth, but that on the other hand the poor must also distance themselves from culture, insofar as they, more mindful of their individual lot and also financially and socially restricted, deliberately emphasize the individual against public and cultural synthesis. Culture is actually best preserved at the middle level of the human race, among those who are not too poor and also not too rich.

© Translation William Drabkin.