[envelope]
{recto}
HOTEL Österreichischer H[of]
Franz Irresbergers E[rben]

[An:] Herrn Professor M. Violin
Hamburg
Rothenbaumchaussee 221

[sticker:]|| R | Salzburg 1 | 1987 ||
SP.

[letter] [printed letterhead, on rectos of all four sheets of paper]

HOTEL ÖSTERREICHISCHER HOF
BES.: FRANZ IRRESBERGER’S ERBEN
TEL. 27 U. 28 TELEGRAMM-ADRESSE: AUSTRIAHOTEL

SALZBURG, den 6. September 1931

diktirt!

Fl! mein teuerster Florizello! 1

Seit langem zögere ich – über einen Wink von Cube – Dir für Deine schöne Tat zu danken. Erst ein Brief Deiner lieben Fanny, der uns hier in Salzburg erreichte, wo wir noch eine Weile rasten, in dem sie uns ihre Reise nach Hamburg ankündigt, gab mir den Mut, an Dich einige Worte zu richten, die eines gewissen Mystizismus nicht entbehren, gleichwohl aber meiner Ueberzeugung nach fest in tagheller Wirklichkeit verankert sind.

Vorerst noch ein paar Worte zu Ereignissen vom Tage. In Galtür lernte ich – unfreiwillig – Prof. Dr. Kestner aus Hamburg kennen, dessen 16jährige Tochter bei Müller-Hartmann Klavierunterricht hat. Ich übergab ihm den Prospekt. Mir selbst erwies K. einen außerordentlichen Dienst, {2} indem er mich für meinem Alter entsprechend „sehr gut“ fand.

Meine Augen haben sich in Galtür f bis auf das Flimmern gebessert, die stete Entzündung ist gewichen, auch das Lidzittern, doch meide ich wie Du siehst ein längeres Schreiben noch immer.

Da mir am selben Tage der Arzt des Tales bestimmtest versichert hat, mein Organismus habe (auch am Herzen!) nicht den geringsten Makel, er sei ganz normal u. gesund, befähige mich zur Fortsetzung meiner Arbeit, versteht sich: in vernünftigen Dosen, so halte ich mich dem „Freien Satz“ zu Verfügung, umso mehr als ...

auch wieder an dem selben Tage mir die Post den Brief eines Wiener Großindustriellen 2 brachte, dessen Gattin Schülerin von Weisse gewesen, der mir – eben durch seine Gattin unterrichtet – zum 15. Oktober S. 5000 als Beitrag für den „Fr. S.“ zur Verfügung stellt! Das {3} ist nun eine Wunder! Ich habe es mit Lebens- und Werkangst wahrlich teuer erkauft, aber, das Wunder ist da! Wo 5000 S. schon einmal da sind, werden sich weitere Schillinge einfinden, doch hoffe ich, daß ich schon mit diesem Betrag einen Verlag dazu werde haben können, daß er den Rest aus eigener Tasche deckt. Die entscheidende Lehre der letzten Jahre war aber: Erst seit der Teilnahme Furtwänglers u. eben dieses Wiener Großindustriellen wurde mein Inneres der Form des freien Satzes innigst aufgeschlossen u. ich fand sie wie plötzlich, so daß ich nun mit mehr Leichtigkeit das Werk zuende bringen kann. Es ist damit erwiesen, daß ich den freien Satz schon vor Jahren hätte vorlegen können, wenn die Geldhilfe sichergestellt gewesen wäre, ohne diese war die Form des Werkes nicht zu erreichen. Jetzt freilich weiß {4} ich alles!

Endlich die angekündigten mystischen Worte:

Eines Tages rief mich die U.-E. zur Mitarbeit auf. Ich wählte Emanuel Bach zu meinem Thema. Was zog mich zu diesem Meister hin? Mit meiner Ausgabe u. dem Beitrag zur Ornamentik machte ich den Meister zum zweiten Male leben, u. nie wieder wird er so gründlich gestorben sein, wie nach seinem Tode!

Auch Du hast den Meister geliebt, bewundert, gespielt, 3 u. eines Tages zogst Du nach Hamburg aus, ausgerechnet nach Hamburg, wo Em. Bach gewirkt hat. Du siehst, Em. Bach geht mit uns wie ein Stern, er führt mich, führt Dich! In seinem Zeichen sind wir, wie Dein neues Institut zeigt, wieder auch zur Arbeit vereint, wie einst in Wien. Unser Beider Leben zeigt in Anfang u. Ende die glei- {5} che Verschlungenheit. Es ist nicht anders, als lebte auch ich in Hamburg, so daß sich augenscheinlich meine Worte bestätigen (die später auch Vrieslander übernommen hat u. ofter drukken ließ): Es gibt nur ein Buch in der Musikliteratur u. das ist Em. Bach’s Werk; alles vorher Geschriebene ist sinnlos, auch das nach ihm Geschriebene, bis auf mein Lebenswerk, das sich gleichsam als das zweite Werk der Musikliteratur darstellt. Es ist wirklich nicht vermessen zu sagen, daß Em. Bach u. ich zusammengehören u. eben nur wir Beide. In diesem Sinne bin ich mit ihm ein Hamburger! Und nun lasse ich mich ein wenig improvisiren:

Schön wäre, wenn Du im Namen dieser Zwei-Einheit 4 Deinem Institut eine Art städtischer Beihilfe gewinnen könntest, so daß es, mit zweimal Em. Bach gesegnet, auch ein {6} Schenker-Museum aufnehmen könnte, mit Materialien, die sich für ein solches Museum schicken.–

Für den Prospekt, von dem ich erste Nachricht durch Vrieslander hatte, danke ich herzlichst, er hat mir große Freude bereitet. Ich verstand sehr wohl Deine offenbare Zurückhaltung aus Vorsicht gegenüber übelwollenden Collegen. (Es wird Dir bekannt sein, daß schon viele Rezensenten in der Anerkennung höher gegriffen haben.) Der Text ist sehr schön, gut geschrieben, nur eine Unvorsichtigkeit des Ausdrucks möchte ich zur gelegentlich mündlichen Erläuterung u. Verbesserung vormerken. Ich weiß zwar, daß Ihr Beide, Du u. Cube, bei den Worten „rezeptives Genie“ das Richtige gedacht habet, denn mein kompositionelles Schaffen spielt in der mir zugewiesenen historischen Aufgabe keine Rolle –, bedenke ich {7} aber, daß z. B. auch Joachim, Messchaert, heute Nathan Milstein nicht anders denn als rezeptive Genies bezeichnet werden, so trifft diese Bezeichnung auf mich angewendet weniger zu, es müßte denn sein, Ihr sagtet bei den erwähnten Künstlern sollte die Bezeichnung Genie überhaupt vermieden werden. In meinem großen Werk, namentlich im Zusammendenken der Harmonie-, Kontrapunkt,- Schichten-Lehre u. zuletzt in der Gipfelung der Urlinie ist so viel Schöpferisches, Eigenschöpferisches, daß man mit dem Beiwort „rezeptiv“ der Sache Unrecht täte! Es wird v. Cubes Aufgabe sein, in seinen Vorträgen darauf hinzuweisen, d. h. zu sagen, wie er das gemeint habe! Vrieslander pflegte zu scherzen: Das Erstaunlichste an Ihrem Falle ist, daß Sie ein solches Werk der Synthese geleistet haben, trotzdem Sie Jude sind; die {8} Juden lösen auf, zerstören, aber ein Jude mit Synthese ist nicht dagewesen!!

Weisse wird sich auf der Durchreise bei Dir einfinden, ich bat ihn darum.– 5

Ueber die Arbeiten meines Miniatur-Seminars werde ich Dich am Laufenden halten, wie ich schon an Cube geschrieben habe.–

Die Wendung zum freien Satz erlaubt mir nicht mehr an Galtür als Sommersitz zu denken, die Reise ist zu weit, zu teuer, zu anstrengend, wir wollen uns näher zu Wien halten, wo wir die Arbeit leichter werden vollenden können. Das Bildchen 6 soll uns eine Erinnerung an Galtür sein, in diesem Sinne schicken wir es auch zu Euch. Je nach dem Wetter ruhen wir hier noch 2, 3 Tage, dann: Auf zur Arbeit!


Herzlichstes Euch Allen von uns Beiden.
Dein
[signed:] Heinrich

Salzburg, 6. IX. 31

© Transcription William Drabkin, 2015

[envelope]
{recto}
HOTEL Austrian Court
Heirs of Franz Irresberger

[To:] Professor M. Violin
Hamburg
Rothenbaumchaussee 221

[sticker:]|| R | Salzburg 1 | 1987 ||
SP.

[letter] [printed letterhead, on rectos of all four sheets of paper]

HOTEL AUSTRIAN COURT
PROPRIETORS: HEIRS OF FRANZ IRRESBERGER
TEL. 27 & 28 / TELEGRAM-ADRESS: AUSTRIA HOTEL

SALZBURG, September 6, 1931

dictated!

Floriz! my dearest Florizello! 1

For a long time I have delayed – on account of a suggestion from Cube – thanking your for your beautiful deed. It was only a letter from your dear Fanny, which reached us here in Salzburg (where we have stopped for a while longer), in which she announces her [forthcoming] trip to Hamburg, which gave me the courage to send you a few words that cannot dispense with a certain amount of mysticism, although I am convinced that they are anchored firmly in the most vivid reality

To begin with, a few words on current events. In Galtür I made the acquaintance – unintentionally – of Prof. Kestner of Hamburg, whose sixteen-year-old daughter is taking piano lessons with Müller-Hartmann. I gave him [a copy of] the prospectus [for the Schenker Institute]. To myself K. did an extraordinary kindness, {2} in that he found me to be in relatively “excellent” shape for a man of my age.

My eyes improved in Galtür, apart from the flickering; the constant inflammation has subsided, also the trembling of the eyelids, but as you can see I still avoid writing at length.

Since on the same day the Valley doctor assured me most particularly that my constitution (my heart included!) does not have the slightest flaw, that it is entirely normal and healthy, and enables me to continue with my work – of course, in sensible measures – I am holding myself at the ready for Free Composition , all the more since …

On the very same day, the mail brought me a letter from a Viennese heavy industrialist, 2 whose wife has been a pupil of Weisse’s; informed furthermore [about my work] by his wife, he will place 5,000 shillings at my disposal on October 15, as a contribution towards the [production costs of] Free Composition ! That {3} is indeed a miracle! I have indeed paid for it dearly, with fear for my life and work, but the miracle has occurred. And where there are already 5,000 schillings, further schillings will be found; nonetheless I hope that, just with this sum I shall be able to find a publishing house that will be willing to cover the rest from its own resources. The crucial lesson of the last few years, however, has been this: It is only since I have had the support of Furtwängler, and now this Viennese heavy industrialist, that my inner being has been opened to the form that Free Composition is to take, in the most intimate way, and I found it as if at a stroke so that I can with greater ease bring the work to a conclusion. With this, it is proven that I could have presented Free Composition years ago, if the financial assistance had been secured; without this, the form of the work was not to be achieved. Now, of course, I understand {4} this so well!

Finally the mystical words that I promised:

One day, Universal Edition called upon me to work with them. I chose Carl Phillip Emanuel Bach as my theme. What was it that drove me to this Master? With my edition [of his keyboard works] and the Contribution to Ornamentation , I brought the Master to life for the second time; and never again will he be so thoroughly forgotten, as he was after his death!

You, too, have loved this Master, marveled at him, played his music; 3 and one day you made your way to Hamburg, to the very Hamburg where C. P. E. Bach was employed. You see, C. P. E. Bach accompanies us like a star; he leads me, leads you! In his constellation we are, as your new Institute demonstrates, joined together again in our work, as we were once in Vienna. Our two lives are, at the beginning and at the end, {5} entwined in the same way. It is just as if I, too, were living in Hamburg, so that my words (which Vrieslander, too, later adopted and often published) have been confirmed: there is only one book in music literature, and that is C. P. E. Bach’s book; everything written before is meaningless, also [everything] written since, until my life’s work, which represents as it were the second book in music literature. It is truly not presumptuous to say that C. P. E. Bach and I belong together, and only the two of us. In this sense, I am, like him, a citizen of Hamburg! And now I shall indulge myself in a little improvisation:

It would be nice if you, in the name of this union of two spirits, 4 could gain a measure of civic support for your Institute so that, being twice blessed by C. P. E. Bach, it could also {6} embrace a Schenker Museum, with materials that would be appropriate for such a museum.

For the prospectus, of which I first received news by way of Vrieslander, I thank you cordially; it gave me great pleasure. I understood quite well your apparent reserve, for sake of caution with respect to colleagues who might wish you ill. (You will become aware that already many reviewers have recognized my work at a higher level.) The text is very good, well written; I should like to note just one ill-devised formulation, which might be explained and corrected orally. I realize, of course, that the two of you, yourself and Cube, are aiming in the right direction with the words “receptive genius,” for my compositional output plays no role in the historical mission that has been assigned to me; but if I consider {7} that, for example, Joachim, Messchaert, and now Nathan Milstein cannot be described in any other way than as receptive geniuses, then this description, when applied to me, is less apposite; [otherwise] it would be necessary for you to say that the term “genius” should altogether be avoided with regard to these artists. In my great achievement, specifically in my unified conception of the theory of harmony, counterpoint and structural levels – and ultimately in the crowning by the Urlinie – there is so much that is creative, uniquely creative, that the epithet “receptive genius” would ill serve the cause! It will be von Cube’s task, in his lectures, to refer to this, i.e. to say what he meant by it! Vrieslander used to joke: “The most extraordinary thing about your case is that you have accomplished such an act of synthesis despite the fact that you are a Jew; the {8} Jews dissolve, destroy things, but a Jew with [capacity for] synthesis is non-existent!!

Weisse will visit you on his way through [Hamburg]; I have asked him to do so. 5

I shall keep you informed about the work of my miniature Seminar, as I have already written to Cube.

Turning to Free Composition will no longer permit me to consider Galtür as a place in which to spend my summers. The trip is too long, too dear, too strenuous; we want to stay nearer to Vienna, where we will be able to complete the work more easily. This little picture 6 shall be for us a souvenir of Galtür; in this spirit, we are also sending it to you. Depending on the weather, we shall stay here another two or three days; then: back to work!


Most cordial greetings to all of you from the two of us
Your
[signed:] Heinrich

Salzburg, September 6, 1931

© Translation William Drabkin, 2015

[envelope]
{recto}
HOTEL Österreichischer H[of]
Franz Irresbergers E[rben]

[An:] Herrn Professor M. Violin
Hamburg
Rothenbaumchaussee 221

[sticker:]|| R | Salzburg 1 | 1987 ||
SP.

[letter] [printed letterhead, on rectos of all four sheets of paper]

HOTEL ÖSTERREICHISCHER HOF
BES.: FRANZ IRRESBERGER’S ERBEN
TEL. 27 U. 28 TELEGRAMM-ADRESSE: AUSTRIAHOTEL

SALZBURG, den 6. September 1931

diktirt!

Fl! mein teuerster Florizello! 1

Seit langem zögere ich – über einen Wink von Cube – Dir für Deine schöne Tat zu danken. Erst ein Brief Deiner lieben Fanny, der uns hier in Salzburg erreichte, wo wir noch eine Weile rasten, in dem sie uns ihre Reise nach Hamburg ankündigt, gab mir den Mut, an Dich einige Worte zu richten, die eines gewissen Mystizismus nicht entbehren, gleichwohl aber meiner Ueberzeugung nach fest in tagheller Wirklichkeit verankert sind.

Vorerst noch ein paar Worte zu Ereignissen vom Tage. In Galtür lernte ich – unfreiwillig – Prof. Dr. Kestner aus Hamburg kennen, dessen 16jährige Tochter bei Müller-Hartmann Klavierunterricht hat. Ich übergab ihm den Prospekt. Mir selbst erwies K. einen außerordentlichen Dienst, {2} indem er mich für meinem Alter entsprechend „sehr gut“ fand.

Meine Augen haben sich in Galtür f bis auf das Flimmern gebessert, die stete Entzündung ist gewichen, auch das Lidzittern, doch meide ich wie Du siehst ein längeres Schreiben noch immer.

Da mir am selben Tage der Arzt des Tales bestimmtest versichert hat, mein Organismus habe (auch am Herzen!) nicht den geringsten Makel, er sei ganz normal u. gesund, befähige mich zur Fortsetzung meiner Arbeit, versteht sich: in vernünftigen Dosen, so halte ich mich dem „Freien Satz“ zu Verfügung, umso mehr als ...

auch wieder an dem selben Tage mir die Post den Brief eines Wiener Großindustriellen 2 brachte, dessen Gattin Schülerin von Weisse gewesen, der mir – eben durch seine Gattin unterrichtet – zum 15. Oktober S. 5000 als Beitrag für den „Fr. S.“ zur Verfügung stellt! Das {3} ist nun eine Wunder! Ich habe es mit Lebens- und Werkangst wahrlich teuer erkauft, aber, das Wunder ist da! Wo 5000 S. schon einmal da sind, werden sich weitere Schillinge einfinden, doch hoffe ich, daß ich schon mit diesem Betrag einen Verlag dazu werde haben können, daß er den Rest aus eigener Tasche deckt. Die entscheidende Lehre der letzten Jahre war aber: Erst seit der Teilnahme Furtwänglers u. eben dieses Wiener Großindustriellen wurde mein Inneres der Form des freien Satzes innigst aufgeschlossen u. ich fand sie wie plötzlich, so daß ich nun mit mehr Leichtigkeit das Werk zuende bringen kann. Es ist damit erwiesen, daß ich den freien Satz schon vor Jahren hätte vorlegen können, wenn die Geldhilfe sichergestellt gewesen wäre, ohne diese war die Form des Werkes nicht zu erreichen. Jetzt freilich weiß {4} ich alles!

Endlich die angekündigten mystischen Worte:

Eines Tages rief mich die U.-E. zur Mitarbeit auf. Ich wählte Emanuel Bach zu meinem Thema. Was zog mich zu diesem Meister hin? Mit meiner Ausgabe u. dem Beitrag zur Ornamentik machte ich den Meister zum zweiten Male leben, u. nie wieder wird er so gründlich gestorben sein, wie nach seinem Tode!

Auch Du hast den Meister geliebt, bewundert, gespielt, 3 u. eines Tages zogst Du nach Hamburg aus, ausgerechnet nach Hamburg, wo Em. Bach gewirkt hat. Du siehst, Em. Bach geht mit uns wie ein Stern, er führt mich, führt Dich! In seinem Zeichen sind wir, wie Dein neues Institut zeigt, wieder auch zur Arbeit vereint, wie einst in Wien. Unser Beider Leben zeigt in Anfang u. Ende die glei- {5} che Verschlungenheit. Es ist nicht anders, als lebte auch ich in Hamburg, so daß sich augenscheinlich meine Worte bestätigen (die später auch Vrieslander übernommen hat u. ofter drukken ließ): Es gibt nur ein Buch in der Musikliteratur u. das ist Em. Bach’s Werk; alles vorher Geschriebene ist sinnlos, auch das nach ihm Geschriebene, bis auf mein Lebenswerk, das sich gleichsam als das zweite Werk der Musikliteratur darstellt. Es ist wirklich nicht vermessen zu sagen, daß Em. Bach u. ich zusammengehören u. eben nur wir Beide. In diesem Sinne bin ich mit ihm ein Hamburger! Und nun lasse ich mich ein wenig improvisiren:

Schön wäre, wenn Du im Namen dieser Zwei-Einheit 4 Deinem Institut eine Art städtischer Beihilfe gewinnen könntest, so daß es, mit zweimal Em. Bach gesegnet, auch ein {6} Schenker-Museum aufnehmen könnte, mit Materialien, die sich für ein solches Museum schicken.–

Für den Prospekt, von dem ich erste Nachricht durch Vrieslander hatte, danke ich herzlichst, er hat mir große Freude bereitet. Ich verstand sehr wohl Deine offenbare Zurückhaltung aus Vorsicht gegenüber übelwollenden Collegen. (Es wird Dir bekannt sein, daß schon viele Rezensenten in der Anerkennung höher gegriffen haben.) Der Text ist sehr schön, gut geschrieben, nur eine Unvorsichtigkeit des Ausdrucks möchte ich zur gelegentlich mündlichen Erläuterung u. Verbesserung vormerken. Ich weiß zwar, daß Ihr Beide, Du u. Cube, bei den Worten „rezeptives Genie“ das Richtige gedacht habet, denn mein kompositionelles Schaffen spielt in der mir zugewiesenen historischen Aufgabe keine Rolle –, bedenke ich {7} aber, daß z. B. auch Joachim, Messchaert, heute Nathan Milstein nicht anders denn als rezeptive Genies bezeichnet werden, so trifft diese Bezeichnung auf mich angewendet weniger zu, es müßte denn sein, Ihr sagtet bei den erwähnten Künstlern sollte die Bezeichnung Genie überhaupt vermieden werden. In meinem großen Werk, namentlich im Zusammendenken der Harmonie-, Kontrapunkt,- Schichten-Lehre u. zuletzt in der Gipfelung der Urlinie ist so viel Schöpferisches, Eigenschöpferisches, daß man mit dem Beiwort „rezeptiv“ der Sache Unrecht täte! Es wird v. Cubes Aufgabe sein, in seinen Vorträgen darauf hinzuweisen, d. h. zu sagen, wie er das gemeint habe! Vrieslander pflegte zu scherzen: Das Erstaunlichste an Ihrem Falle ist, daß Sie ein solches Werk der Synthese geleistet haben, trotzdem Sie Jude sind; die {8} Juden lösen auf, zerstören, aber ein Jude mit Synthese ist nicht dagewesen!!

Weisse wird sich auf der Durchreise bei Dir einfinden, ich bat ihn darum.– 5

Ueber die Arbeiten meines Miniatur-Seminars werde ich Dich am Laufenden halten, wie ich schon an Cube geschrieben habe.–

Die Wendung zum freien Satz erlaubt mir nicht mehr an Galtür als Sommersitz zu denken, die Reise ist zu weit, zu teuer, zu anstrengend, wir wollen uns näher zu Wien halten, wo wir die Arbeit leichter werden vollenden können. Das Bildchen 6 soll uns eine Erinnerung an Galtür sein, in diesem Sinne schicken wir es auch zu Euch. Je nach dem Wetter ruhen wir hier noch 2, 3 Tage, dann: Auf zur Arbeit!


Herzlichstes Euch Allen von uns Beiden.
Dein
[signed:] Heinrich

Salzburg, 6. IX. 31

© Transcription William Drabkin, 2015

[envelope]
{recto}
HOTEL Austrian Court
Heirs of Franz Irresberger

[To:] Professor M. Violin
Hamburg
Rothenbaumchaussee 221

[sticker:]|| R | Salzburg 1 | 1987 ||
SP.

[letter] [printed letterhead, on rectos of all four sheets of paper]

HOTEL AUSTRIAN COURT
PROPRIETORS: HEIRS OF FRANZ IRRESBERGER
TEL. 27 & 28 / TELEGRAM-ADRESS: AUSTRIA HOTEL

SALZBURG, September 6, 1931

dictated!

Floriz! my dearest Florizello! 1

For a long time I have delayed – on account of a suggestion from Cube – thanking your for your beautiful deed. It was only a letter from your dear Fanny, which reached us here in Salzburg (where we have stopped for a while longer), in which she announces her [forthcoming] trip to Hamburg, which gave me the courage to send you a few words that cannot dispense with a certain amount of mysticism, although I am convinced that they are anchored firmly in the most vivid reality

To begin with, a few words on current events. In Galtür I made the acquaintance – unintentionally – of Prof. Kestner of Hamburg, whose sixteen-year-old daughter is taking piano lessons with Müller-Hartmann. I gave him [a copy of] the prospectus [for the Schenker Institute]. To myself K. did an extraordinary kindness, {2} in that he found me to be in relatively “excellent” shape for a man of my age.

My eyes improved in Galtür, apart from the flickering; the constant inflammation has subsided, also the trembling of the eyelids, but as you can see I still avoid writing at length.

Since on the same day the Valley doctor assured me most particularly that my constitution (my heart included!) does not have the slightest flaw, that it is entirely normal and healthy, and enables me to continue with my work – of course, in sensible measures – I am holding myself at the ready for Free Composition , all the more since …

On the very same day, the mail brought me a letter from a Viennese heavy industrialist, 2 whose wife has been a pupil of Weisse’s; informed furthermore [about my work] by his wife, he will place 5,000 shillings at my disposal on October 15, as a contribution towards the [production costs of] Free Composition ! That {3} is indeed a miracle! I have indeed paid for it dearly, with fear for my life and work, but the miracle has occurred. And where there are already 5,000 schillings, further schillings will be found; nonetheless I hope that, just with this sum I shall be able to find a publishing house that will be willing to cover the rest from its own resources. The crucial lesson of the last few years, however, has been this: It is only since I have had the support of Furtwängler, and now this Viennese heavy industrialist, that my inner being has been opened to the form that Free Composition is to take, in the most intimate way, and I found it as if at a stroke so that I can with greater ease bring the work to a conclusion. With this, it is proven that I could have presented Free Composition years ago, if the financial assistance had been secured; without this, the form of the work was not to be achieved. Now, of course, I understand {4} this so well!

Finally the mystical words that I promised:

One day, Universal Edition called upon me to work with them. I chose Carl Phillip Emanuel Bach as my theme. What was it that drove me to this Master? With my edition [of his keyboard works] and the Contribution to Ornamentation , I brought the Master to life for the second time; and never again will he be so thoroughly forgotten, as he was after his death!

You, too, have loved this Master, marveled at him, played his music; 3 and one day you made your way to Hamburg, to the very Hamburg where C. P. E. Bach was employed. You see, C. P. E. Bach accompanies us like a star; he leads me, leads you! In his constellation we are, as your new Institute demonstrates, joined together again in our work, as we were once in Vienna. Our two lives are, at the beginning and at the end, {5} entwined in the same way. It is just as if I, too, were living in Hamburg, so that my words (which Vrieslander, too, later adopted and often published) have been confirmed: there is only one book in music literature, and that is C. P. E. Bach’s book; everything written before is meaningless, also [everything] written since, until my life’s work, which represents as it were the second book in music literature. It is truly not presumptuous to say that C. P. E. Bach and I belong together, and only the two of us. In this sense, I am, like him, a citizen of Hamburg! And now I shall indulge myself in a little improvisation:

It would be nice if you, in the name of this union of two spirits, 4 could gain a measure of civic support for your Institute so that, being twice blessed by C. P. E. Bach, it could also {6} embrace a Schenker Museum, with materials that would be appropriate for such a museum.

For the prospectus, of which I first received news by way of Vrieslander, I thank you cordially; it gave me great pleasure. I understood quite well your apparent reserve, for sake of caution with respect to colleagues who might wish you ill. (You will become aware that already many reviewers have recognized my work at a higher level.) The text is very good, well written; I should like to note just one ill-devised formulation, which might be explained and corrected orally. I realize, of course, that the two of you, yourself and Cube, are aiming in the right direction with the words “receptive genius,” for my compositional output plays no role in the historical mission that has been assigned to me; but if I consider {7} that, for example, Joachim, Messchaert, and now Nathan Milstein cannot be described in any other way than as receptive geniuses, then this description, when applied to me, is less apposite; [otherwise] it would be necessary for you to say that the term “genius” should altogether be avoided with regard to these artists. In my great achievement, specifically in my unified conception of the theory of harmony, counterpoint and structural levels – and ultimately in the crowning by the Urlinie – there is so much that is creative, uniquely creative, that the epithet “receptive genius” would ill serve the cause! It will be von Cube’s task, in his lectures, to refer to this, i.e. to say what he meant by it! Vrieslander used to joke: “The most extraordinary thing about your case is that you have accomplished such an act of synthesis despite the fact that you are a Jew; the {8} Jews dissolve, destroy things, but a Jew with [capacity for] synthesis is non-existent!!

Weisse will visit you on his way through [Hamburg]; I have asked him to do so. 5

I shall keep you informed about the work of my miniature Seminar, as I have already written to Cube.

Turning to Free Composition will no longer permit me to consider Galtür as a place in which to spend my summers. The trip is too long, too dear, too strenuous; we want to stay nearer to Vienna, where we will be able to complete the work more easily. This little picture 6 shall be for us a souvenir of Galtür; in this spirit, we are also sending it to you. Depending on the weather, we shall stay here another two or three days; then: back to work!


Most cordial greetings to all of you from the two of us
Your
[signed:] Heinrich

Salzburg, September 6, 1931

© Translation William Drabkin, 2015

Footnotes

1 Writing of this letter is recorded in Schenker's diary for September 5, 1931: “An Floriz Brief diktirt: über Prof. Dr. Kestner, Dr. Köck; von den 5000 S.; Mystisches: die Verschlungenheit unser beider Leben in Anfang u. Ende! Em. Bachs Stern führte u. führt uns Beide noch heute! Städtische Subvention eines Schenker-Museums?! Der Prospekt ist schön trotz einiger Zurückhaltung, der Ausdruck: „rezeptives Genie“ wird zu korrigiren sein. Das Galtürer Bildchen zur Erinnerung an Galtür!” (“To Floriz, letter dictated: concerning Prof. Kestner, Dr. Köck; concerning the 5,000 schillings; mystical thoughts: the intertwinement of our two lives, at the beginning and end. C. P. E. Bach’s star has guided us and continues to guide the two of us to this day! Municipal subvention of a Schenker Museum?! The prospectus is beautiful, in spite of some reservations [on my part]; the expression “receptive genius” must be corrected. The little photograph taken in Galtür, as a memento of the town!”) Copying of the letter is recorded on September 6, 1931: “Lie-Liechen schreibt den Brief an Violin, 8 Seiten” (“Lie-Liechen writes the letter to Violin, eight pages”).

2 Paul Khuner (1884–1932) made a contribution of 4,000 Shillings towards the costs of producing Free Composition.

3 In 1906 Schenker had made editions two works by C. P. E. Bach: a concerto for two keyboards in F major, and a solo keyboard concerto in A minor with cadenzas by Schenker, the first of which was “rehearsed” in Heiligenstadt on January 26, 1907 with Violin and Schenker and presumably a small orchestra (in a series of entries in Schenker’s diary); it is unclear whether either work was performed in public. — Violin performed these two concertos soon after arriving in Hamburg. (Cf. OJ 6/7, [2], letter from Schenker to Violin, dated January 29, 1922.)

4 Zwei-Einheit: possibly a play on the word Dreieinigkeit = Holy Trinity.

5 Before setting sail for New York, where he had recently been appointed to teach Schenker’s theories at the Mannes Music School, Weisse gave a public lecture on Schenker’s theories in Hamburg, on September 17, 1931.

6 Probably OJ 72/15, photograph No. 10, which shows Heinrich and Jeanette outside their hotel in Galtür. The reverse side is marked “summer 1931, Lie Lie [and] Heinrich”; the name “Floriz” is pencilled in the upper-left-hand corner.