15.

Bei Mama; ich erzähle ihr den Traum, 1 worauf sie mir mitteilt, daß am 13., eben am Dienstag, Jahrzeit (Todestag!) war. 2 Sie zeigt mir einen BriefOJ 14/5, [2] von Mošio, dem 200 Kronen beigelegt waren. Im Brief erklärt der Bruder, von nun ab monatlich 200 Kr. schicken zu wollen. Wie läßt sich nur das Benehmen des Bruders erklären? Ist es unter dem Druck des anwaltlichen Schreibens die rein nüchterne Erwägung, daß er eventuell zu einer noch größeren Leistung verhalten werden könnte? Kaum denkbar, da er ja über eigene Bitte der Mutter u. ausdrückliches Bemerken des Anwaltes doch nur 100 Kronen zu zahlen gehabt hätte! So nehme ich dagegen an, daß ihm entweder der impetuose Brief des Anwaltes die Lage der Mutter bereits sehr bedrohlich erscheinen ließ, so daß er, wie er glaubte, nicht gerade den allerletzten Lebensabriß der Mutter durch weitere Bübereien vergällen wollte oder daß er in phantastischer Aufwallung u. im Hinblick auf einen Passus des anwaltlichen Briefes für mich selbst die Zahlung übernehmen wollte! Doch sei denn, wie es wolle – es bleibt erfreulich, daß er der Mutter mindestens die Genugtuung materieller Aufmerksamkeiten endlich gibt, wie er denn auch seinen Besuch bestimmt für den 1. März in Aussicht stellte!

*

Brief an Frau Pairamall (Dank für Auskunft!).

*

Karte an Roth mit Ankündigung einer späteren Frist.

*

Brief an Steinitz mit Rückforderung der Schanzer u. Glässner-Briefe u. Darstellung der ungünstigen Lage Lie-Liechens, in die sie seine Vornehmheit gedrängt hat.

*

Abends Vortrag der Fr. Deutsch im „Wissenschaftlichen Club“ über die nordische Reise. Lie-Liechen u. Frau Vally hören den Vortrag, während ich u. Floriz im Café Museum ein {510} Rendezvous absolvieren. Nach dem Vortrag gemeinsames Abendessen mit Frau Deutsch u. deren Bekannten, Colbert u. Frau, D Tedesco u. Familie, Fritz Mendel, Schwester, u. s. w. u. dann im Caféhaus. Im Gespräch mit Colbert äußere ich den Gedanken über die Art, in der Staaten vielfach über ihre Verhältnisse leben müssen, u. daß es ebenso Pflicht des Einzelindividuums ist, sich dadurch das Leben möglich zu machen, daß er es auch über die Verhältnisse steigere. Dieser Gedanke gefällt Herrn Colbert, er notiert ihn, um ihn unter den Titel „Notwendigkeit des Ueberflusses“ in einem Feuilleton 3 zu verzapfen. – Noch hätten wir, dem Wunsch Florizens folgend, einen Sprung in ein anderes Caféhaus machen sollen, wo uns Frau Hauser erwartet hat. Indessen war dies bei vorgerückter Nachtstunde nicht mehr auszuführen möglich u. wir traten den Heimweg an. Um aber Floriz Bescheid über den Verlauf des Abends zu geben, giengen wir, schon gegen 12h, ins Café Monarch, wo wir zu unserer größten Ueberraschung Frau Kolischer in Begleitung trafen. Wie mir Lie-Liechen erzählt, wurde sie von Frau Kolischer bei ihrem Eintritt gegrüßt, worauf erst sie selbst mich auf Fr. K. aufmerksam machte. Ich begrüßte Fr. K. u. setzte mich zu Lie-Liechen. Fr. K. verließ bald darauf das Local.

*

© Transcription Marko Deisinger.

15.

With Mama; I recount my dream 1 to her, whereupon she tells me that on the 13th, also on Tuesday, was the yahrzeit (death day!). 2 She shows me a letterOJ 14/5, [2] from Mošio, in which 200 Kronen were enclosed. In the letter, my brother explains that from now on he wants to send 200 Kronen monthly. But how can my brother's behavior be explained? Was it the purely sober consideration, under the pressure of a lawyer's letter, that he could eventually hold a still greater attainment? That is hardly imaginable, since he would have had to pay only 100 Kronen at his mother's own request and the express observation of the lawyer! Thus I assume, on the contrary, that either the impetuous letter of the lawyer made our mother's situation seem very perilous to him, so that he, as he believed, did not wish to sour the very last part of our mother's life with further knavery; or that he, in fantastical outburst and with regard to a passage in the lawyer's letter, wished to take over the payment from me myself! But be that as it may – it remains gratifying that he is at least giving our mother the satisfaction of material kindnesses, as he also held out the prospect of a visit to her on the 1st of March!

*

Letter to Mrs. Pairamall (thanks for information!).

*

Postcard to Roth, with notification of a later deadline.

*

Letter to Steinitz requesting the return of the letters from Schanzer and Glässner, and an account of Lie-Liechen's unfavorable situation, into which his politeness has forced her.

*

In the evening, Mrs. Deutsch's lecture about her Nordic trip at the "Wissenschaftlicher Club." Lie-Liechen and Vally hear the lecture, while Floriz and I meet, as arranged, at the Café Museum. {510} After the lecture, communal supper with Mrs. Deutsch and her companions, Colbert and his wife, Tedesco and family, Fritz Mendel, sister, and so on; and then at the coffee house. In conversation with Colbert, I express the thought about the way in which nations must live in many respects beyond their means, and that it is the duty of individuals to make life possible also by living beyond their means. This thought pleases Mr. Colbert; he makes a note of it, in order to give vent to it in a feuilleton 3 entitled "The Necessity of Excess." – We were still supposed, following Floriz's wish, to dash off to another coffee house, where Mrs. Hauser was expecting us. However, this was no longer possible to undertake, as it was now late in the evening, and so we set off on our way home. To inform Floriz about how the evening went, however, we went – it was already nearly midnight – into the Café Monarch where, to our greatest surprise, we met Mrs. Kolischer and her company. As Lie-Liechen tells me, she was greeted by Mrs. Kolischer as soon as she entered, whereupon she alerted me to Mrs. K.. I greeted Mrs. K. and sat down beside Lie-Liechen. Soon afterwards, Mrs. K. left the place.

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© Translation William Drabkin.

15.

Bei Mama; ich erzähle ihr den Traum, 1 worauf sie mir mitteilt, daß am 13., eben am Dienstag, Jahrzeit (Todestag!) war. 2 Sie zeigt mir einen BriefOJ 14/5, [2] von Mošio, dem 200 Kronen beigelegt waren. Im Brief erklärt der Bruder, von nun ab monatlich 200 Kr. schicken zu wollen. Wie läßt sich nur das Benehmen des Bruders erklären? Ist es unter dem Druck des anwaltlichen Schreibens die rein nüchterne Erwägung, daß er eventuell zu einer noch größeren Leistung verhalten werden könnte? Kaum denkbar, da er ja über eigene Bitte der Mutter u. ausdrückliches Bemerken des Anwaltes doch nur 100 Kronen zu zahlen gehabt hätte! So nehme ich dagegen an, daß ihm entweder der impetuose Brief des Anwaltes die Lage der Mutter bereits sehr bedrohlich erscheinen ließ, so daß er, wie er glaubte, nicht gerade den allerletzten Lebensabriß der Mutter durch weitere Bübereien vergällen wollte oder daß er in phantastischer Aufwallung u. im Hinblick auf einen Passus des anwaltlichen Briefes für mich selbst die Zahlung übernehmen wollte! Doch sei denn, wie es wolle – es bleibt erfreulich, daß er der Mutter mindestens die Genugtuung materieller Aufmerksamkeiten endlich gibt, wie er denn auch seinen Besuch bestimmt für den 1. März in Aussicht stellte!

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Brief an Frau Pairamall (Dank für Auskunft!).

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Karte an Roth mit Ankündigung einer späteren Frist.

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Brief an Steinitz mit Rückforderung der Schanzer u. Glässner-Briefe u. Darstellung der ungünstigen Lage Lie-Liechens, in die sie seine Vornehmheit gedrängt hat.

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Abends Vortrag der Fr. Deutsch im „Wissenschaftlichen Club“ über die nordische Reise. Lie-Liechen u. Frau Vally hören den Vortrag, während ich u. Floriz im Café Museum ein {510} Rendezvous absolvieren. Nach dem Vortrag gemeinsames Abendessen mit Frau Deutsch u. deren Bekannten, Colbert u. Frau, D Tedesco u. Familie, Fritz Mendel, Schwester, u. s. w. u. dann im Caféhaus. Im Gespräch mit Colbert äußere ich den Gedanken über die Art, in der Staaten vielfach über ihre Verhältnisse leben müssen, u. daß es ebenso Pflicht des Einzelindividuums ist, sich dadurch das Leben möglich zu machen, daß er es auch über die Verhältnisse steigere. Dieser Gedanke gefällt Herrn Colbert, er notiert ihn, um ihn unter den Titel „Notwendigkeit des Ueberflusses“ in einem Feuilleton 3 zu verzapfen. – Noch hätten wir, dem Wunsch Florizens folgend, einen Sprung in ein anderes Caféhaus machen sollen, wo uns Frau Hauser erwartet hat. Indessen war dies bei vorgerückter Nachtstunde nicht mehr auszuführen möglich u. wir traten den Heimweg an. Um aber Floriz Bescheid über den Verlauf des Abends zu geben, giengen wir, schon gegen 12h, ins Café Monarch, wo wir zu unserer größten Ueberraschung Frau Kolischer in Begleitung trafen. Wie mir Lie-Liechen erzählt, wurde sie von Frau Kolischer bei ihrem Eintritt gegrüßt, worauf erst sie selbst mich auf Fr. K. aufmerksam machte. Ich begrüßte Fr. K. u. setzte mich zu Lie-Liechen. Fr. K. verließ bald darauf das Local.

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© Transcription Marko Deisinger.

15.

With Mama; I recount my dream 1 to her, whereupon she tells me that on the 13th, also on Tuesday, was the yahrzeit (death day!). 2 She shows me a letterOJ 14/5, [2] from Mošio, in which 200 Kronen were enclosed. In the letter, my brother explains that from now on he wants to send 200 Kronen monthly. But how can my brother's behavior be explained? Was it the purely sober consideration, under the pressure of a lawyer's letter, that he could eventually hold a still greater attainment? That is hardly imaginable, since he would have had to pay only 100 Kronen at his mother's own request and the express observation of the lawyer! Thus I assume, on the contrary, that either the impetuous letter of the lawyer made our mother's situation seem very perilous to him, so that he, as he believed, did not wish to sour the very last part of our mother's life with further knavery; or that he, in fantastical outburst and with regard to a passage in the lawyer's letter, wished to take over the payment from me myself! But be that as it may – it remains gratifying that he is at least giving our mother the satisfaction of material kindnesses, as he also held out the prospect of a visit to her on the 1st of March!

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Letter to Mrs. Pairamall (thanks for information!).

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Postcard to Roth, with notification of a later deadline.

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Letter to Steinitz requesting the return of the letters from Schanzer and Glässner, and an account of Lie-Liechen's unfavorable situation, into which his politeness has forced her.

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In the evening, Mrs. Deutsch's lecture about her Nordic trip at the "Wissenschaftlicher Club." Lie-Liechen and Vally hear the lecture, while Floriz and I meet, as arranged, at the Café Museum. {510} After the lecture, communal supper with Mrs. Deutsch and her companions, Colbert and his wife, Tedesco and family, Fritz Mendel, sister, and so on; and then at the coffee house. In conversation with Colbert, I express the thought about the way in which nations must live in many respects beyond their means, and that it is the duty of individuals to make life possible also by living beyond their means. This thought pleases Mr. Colbert; he makes a note of it, in order to give vent to it in a feuilleton 3 entitled "The Necessity of Excess." – We were still supposed, following Floriz's wish, to dash off to another coffee house, where Mrs. Hauser was expecting us. However, this was no longer possible to undertake, as it was now late in the evening, and so we set off on our way home. To inform Floriz about how the evening went, however, we went – it was already nearly midnight – into the Café Monarch where, to our greatest surprise, we met Mrs. Kolischer and her company. As Lie-Liechen tells me, she was greeted by Mrs. Kolischer as soon as she entered, whereupon she alerted me to Mrs. K.. I greeted Mrs. K. and sat down beside Lie-Liechen. Soon afterwards, Mrs. K. left the place.

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 Schenker recorded this dream in the diary entry for January 13, 1914.

2 Federhofer (1985, p. 5) states, however, that Schenker's father had died "at the end of 1887"; in that year the 13th of January fell on a Thursday, and the following year it fell on Friday. It is possible that Julia Schenker's husband died a month earlier than she remembered: the 13th of December 1887 was indeed a Tuesday.

3 Presumably a feuilleton for his newspaper, Der Morgen.