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OJ 5/38, [25] - Handwritten letter from Heinrich to Wilhelm Schenker, dated March 28, 1927
Vielen, vielen Dank für deinen l. Brief, 2 der uns so viel Freude bringt, was immer er bringen mag. Zuerst einmal: Du brauchst uns gewiß nicht mehr förmlich einzuladen, wir kaufen uns heuer endlich die besagten zwei kleinere Kofferchen u. kommen bestimmt zu dir. Wir werden dies noch genauer bei Gelegenheit unserer Zusammenkunft – ich nenne sie: die drei-Kaiser-Begegnung – besprechen. Auch mir liegt diese Zusammenkunft sehr am Herzen; wir waren schon so nahe dran, schade, daß du nicht warten konntest. Nun, {2} wünschest du, daß wir uns bei dir versammeln? Ich fürchte, daß Mozio schwer den Weg finden wird, er ist überärgert, übermüdet u, wie ich glaube, in seiner Generaldirektors-Karriere augenblicklich aufgehalten. Vielleicht kommst du zu uns mit Mozio, oder, was mir am einfachsten scheint, nach Baden, wo wir uns nach Herzenslust unterhalten u. gütlich tun können (Mozio, Georg u. ich spielen dir auch etwas vor). Mache einen Vorschlag u. wir führen ihn aus. Ich habe darüber auch Mozio bereits berichtet. Also du hast das Wort. Das Grab unseres unvergeßlichen Vaters ist, wenn die Mitteilung der Marienbergs zutrifft, nicht mehr erhalten, auf dem Friedhofe tobten die Kämpfe, denn Grabsteine ja gute Deckung geben. Ich werde noch einmal durch die Sophie fragen lassen, unsereiner {3} darf es ja gar nicht tun, dann sonst fühle sich die dortige Kultusgemeinde versucht, uns etwas vorzulügen, in der Erwartung, daß du hinkommst u. über Nacht, wie ein Harun al Raschid, 3 die ganze Judengemeinde in Gold tauchst. Das Ergebnis der Nachfrage werde ich dir mitteilen. Zu deinem Geburtstag gratulieren wir dir nachträglich von Herzen. Jetzt erfahre ich endlich das genaue Datum aus deinem Briefe, früher pflegte die teure Mutter das Purimsfest als deinen Geburtstag anzugeben. (Wir haben die Epheufrage am Grabe der Mutter noch immer nicht gelöst, ich blieb ohne Antwort, wir werden also wieder hinausfahren müssen.) Ehemals pflegte ich dir als dem Ältesten zu deinem Geburtstag zu gratulieren, Jahr um Jahr, doch niemals nahmst du Kenntnis davon, so habe ich endlich von der Übung Abstand genommen, {4} in der Meinung, daß du grundsätzlich keinen Wert darauf liegt. Daß du nach der Sophie frägst, ist lieb von dir. Meine Beziehung zu ihr war allezeit ununterbrochen. Heute hat sie die Sorge um die Frieda. Es hat sich ein Liebender gefunden, Dr. Goldschläger, der auch ohne Geld die Ehe zu wagen bereit ist, aber wir fürchten alle, daß er als Advokat in Wien schwer durchdringen wird. (Er ist nicht besonders im Kopfe ausgestattet, wenn auch ein sehr braver junger Mensch.) Mozio versprach ihn in einem Geschäfte unterzubringen, was heute sicherer ist: Mozio wird mir diesmal nicht auskommen. Frieda muß noch bei Lebzeiten der Sophie versorgt sein! Ich habe mich ebenfalls zur Hilfe bereit erklärt. Auch wir haben den gleichen Apparat, wie du, nur machen wir vom Ausland keinen Gebrauch. Wir kommen überhaupt selten dazu, wegen übergroßer Arbeitshäufung. Also schreibe deinen Vorschlag wiede © Transcription William Drabkin, 2024 |
Many, many thanks for your kind letter, 2 which brings us so much joy, whatever the contents. First: you certainly no longer need to invite us formally. This year, we will finally buy ourselves the previously mentioned two small suitcases, and we are definitely coming to you for a visit. We will discuss this more precisely when we get together – I call it the three-emperors’-meeting. This gathering is near and dear to me too. We were already so close; a shame that you couldn’t wait. Now, {2} you want us to gather at your place? I fear that Mozio will have trouble making his way there. He is exceedingly exasperated, overtired and, as I believe, currently blocked in his career as a general director. Perhaps you could come to our place with Mozio, or to Baden, which seems easiest to me, where we can talk to our heart’s content and can be amicable (Mozio, Georg, und I will perform something for you). Make a suggestion and we will follow through on it. I have already told Mozio about it. So, you have the floor. The grave of our unforgettable father is no longer standing, if the communication from the Marienbergs is correct. The battles raged on the cemetery since gravestones provide good cover. I will again have Sophie ask; the likes of us {3} may certainly not do it, because then the local religious community would be tempted to lie to us with the expectation that you go there and, like a Harun al-Rashid, 3 dip the entire Jewish community in gold overnight. I will share the result of the inquiry with you. Belatedly, we congratulate you heartily on your birthday. From your letter, I am at last finding out the exact date. Earlier, our dear mother used to declare Purim as your birthday. (We still haven’t resolved the question of the ivy adornment at mother’s grave; I’ve had no answer, so we’ll have to drive out there.) Previously, I used to congratulate you on your birthday year after year, as the oldest. But you never noticed it. I finally stopped the practice {4} in the belief that, fundamentally, you set no store by it. It is kind of you to ask about Sophie. My relationship with her was always uninterrupted. Currently, she is worried about Frieda. A love interest has arisen, Dr. Goldschläger, who is prepared to chance the marriage even without money. But we all fear that he will have a hard time asserting himself as an attorney in Vienna. (He is not particularly equipped intellectually, even if he is an honest young man.) Mozio promised to find something for him in a business, which is more certain today: this time Mozio is not going to slip away from me. So long as Sophie is alive, Frieda has to be taken care of! I also declared myself ready to help. We too have the same radio as you, only we don’t use it in foreign countries. In general, we seldom get to it because of an oversized workload. So, write your suggestion again, © Translation Lee Rothfarb, 2024 |
Vielen, vielen Dank für deinen l. Brief, 2 der uns so viel Freude bringt, was immer er bringen mag. Zuerst einmal: Du brauchst uns gewiß nicht mehr förmlich einzuladen, wir kaufen uns heuer endlich die besagten zwei kleinere Kofferchen u. kommen bestimmt zu dir. Wir werden dies noch genauer bei Gelegenheit unserer Zusammenkunft – ich nenne sie: die drei-Kaiser-Begegnung – besprechen. Auch mir liegt diese Zusammenkunft sehr am Herzen; wir waren schon so nahe dran, schade, daß du nicht warten konntest. Nun, {2} wünschest du, daß wir uns bei dir versammeln? Ich fürchte, daß Mozio schwer den Weg finden wird, er ist überärgert, übermüdet u, wie ich glaube, in seiner Generaldirektors-Karriere augenblicklich aufgehalten. Vielleicht kommst du zu uns mit Mozio, oder, was mir am einfachsten scheint, nach Baden, wo wir uns nach Herzenslust unterhalten u. gütlich tun können (Mozio, Georg u. ich spielen dir auch etwas vor). Mache einen Vorschlag u. wir führen ihn aus. Ich habe darüber auch Mozio bereits berichtet. Also du hast das Wort. Das Grab unseres unvergeßlichen Vaters ist, wenn die Mitteilung der Marienbergs zutrifft, nicht mehr erhalten, auf dem Friedhofe tobten die Kämpfe, denn Grabsteine ja gute Deckung geben. Ich werde noch einmal durch die Sophie fragen lassen, unsereiner {3} darf es ja gar nicht tun, dann sonst fühle sich die dortige Kultusgemeinde versucht, uns etwas vorzulügen, in der Erwartung, daß du hinkommst u. über Nacht, wie ein Harun al Raschid, 3 die ganze Judengemeinde in Gold tauchst. Das Ergebnis der Nachfrage werde ich dir mitteilen. Zu deinem Geburtstag gratulieren wir dir nachträglich von Herzen. Jetzt erfahre ich endlich das genaue Datum aus deinem Briefe, früher pflegte die teure Mutter das Purimsfest als deinen Geburtstag anzugeben. (Wir haben die Epheufrage am Grabe der Mutter noch immer nicht gelöst, ich blieb ohne Antwort, wir werden also wieder hinausfahren müssen.) Ehemals pflegte ich dir als dem Ältesten zu deinem Geburtstag zu gratulieren, Jahr um Jahr, doch niemals nahmst du Kenntnis davon, so habe ich endlich von der Übung Abstand genommen, {4} in der Meinung, daß du grundsätzlich keinen Wert darauf liegt. Daß du nach der Sophie frägst, ist lieb von dir. Meine Beziehung zu ihr war allezeit ununterbrochen. Heute hat sie die Sorge um die Frieda. Es hat sich ein Liebender gefunden, Dr. Goldschläger, der auch ohne Geld die Ehe zu wagen bereit ist, aber wir fürchten alle, daß er als Advokat in Wien schwer durchdringen wird. (Er ist nicht besonders im Kopfe ausgestattet, wenn auch ein sehr braver junger Mensch.) Mozio versprach ihn in einem Geschäfte unterzubringen, was heute sicherer ist: Mozio wird mir diesmal nicht auskommen. Frieda muß noch bei Lebzeiten der Sophie versorgt sein! Ich habe mich ebenfalls zur Hilfe bereit erklärt. Auch wir haben den gleichen Apparat, wie du, nur machen wir vom Ausland keinen Gebrauch. Wir kommen überhaupt selten dazu, wegen übergroßer Arbeitshäufung. Also schreibe deinen Vorschlag wiede © Transcription William Drabkin, 2024 |
Many, many thanks for your kind letter, 2 which brings us so much joy, whatever the contents. First: you certainly no longer need to invite us formally. This year, we will finally buy ourselves the previously mentioned two small suitcases, and we are definitely coming to you for a visit. We will discuss this more precisely when we get together – I call it the three-emperors’-meeting. This gathering is near and dear to me too. We were already so close; a shame that you couldn’t wait. Now, {2} you want us to gather at your place? I fear that Mozio will have trouble making his way there. He is exceedingly exasperated, overtired and, as I believe, currently blocked in his career as a general director. Perhaps you could come to our place with Mozio, or to Baden, which seems easiest to me, where we can talk to our heart’s content and can be amicable (Mozio, Georg, und I will perform something for you). Make a suggestion and we will follow through on it. I have already told Mozio about it. So, you have the floor. The grave of our unforgettable father is no longer standing, if the communication from the Marienbergs is correct. The battles raged on the cemetery since gravestones provide good cover. I will again have Sophie ask; the likes of us {3} may certainly not do it, because then the local religious community would be tempted to lie to us with the expectation that you go there and, like a Harun al-Rashid, 3 dip the entire Jewish community in gold overnight. I will share the result of the inquiry with you. Belatedly, we congratulate you heartily on your birthday. From your letter, I am at last finding out the exact date. Earlier, our dear mother used to declare Purim as your birthday. (We still haven’t resolved the question of the ivy adornment at mother’s grave; I’ve had no answer, so we’ll have to drive out there.) Previously, I used to congratulate you on your birthday year after year, as the oldest. But you never noticed it. I finally stopped the practice {4} in the belief that, fundamentally, you set no store by it. It is kind of you to ask about Sophie. My relationship with her was always uninterrupted. Currently, she is worried about Frieda. A love interest has arisen, Dr. Goldschläger, who is prepared to chance the marriage even without money. But we all fear that he will have a hard time asserting himself as an attorney in Vienna. (He is not particularly equipped intellectually, even if he is an honest young man.) Mozio promised to find something for him in a business, which is more certain today: this time Mozio is not going to slip away from me. So long as Sophie is alive, Frieda has to be taken care of! I also declared myself ready to help. We too have the same radio as you, only we don’t use it in foreign countries. In general, we seldom get to it because of an oversized workload. So, write your suggestion again, © Translation Lee Rothfarb, 2024 |
Footnotes1 Writing of this letter is recorded in Schenker’s diary for March 29, 1927: “An Wilhelm (Br.): wir nehmen seine Einladung an, erbitten einen Vorschlag: bei ihm, bei uns oder in Baden? Wegen des Grabes teile ich ihm mit, daß Marienberg seinerzeit behauptete, es sei im Krieg zerstört worden; ich werde Sophie fragen. Gratuliere nachträglich zum Geburtstag, habe es früher immer getan, aber schließlich aufgegeben. Sophie habe nur eine Sorge, d. i. die Tochter; endlich gedenke ich unseres neuen Apparates” (“To Wilhelm (letter): we accept his invitation, ask for his preference: at his place, at ours, or in Baden? Regarding the grave, I inform him that Marienberg previously stated that it had been destroyed during the War; I shall ask Sophie. I offer birthday greetings, belatedly; I always used to do this, but finally gave up. Sophie has only one trouble, i.e. her daughter; finally I remember to mention our new radio. 2 Schenker’s diary for March 27 records the receipt of a letter from Wilhelm expressing a desire to have a meeting with his brothers, and to see their father’s grave; he also enquired after their sister Sophie. 3 Harun Al-Rashid reigned from 786 until 809 as Caliph of the Abbasid Caliphate, which comprised Arabia, Iraq, Persia, Syria, and parts of Egypt. His reign is generally regarded as marking the start of the Islamic Golden Age. Harun was known for his generosity, and for improving the condition of his people. He and his court figure in some of the tales from A Thousand and One Nights. |
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Commentary
Digital version created: 2024-07-09 |