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Aussig, 13. November 33.


Meine Lieben, 1

für Eueren so lieben, ausführlichen Bericht 2 meinen herzlichsten Dank; nach meiner Rückkehr habe ich genug Beschäftigung vorgefunden und muß den Artikel in der Zeitschrift 3 erst noch mit Ruhe und Mute zuende lesen. Soll ich die Zeitschrift zurücksenden, ich nehme an, Ihr habet noch Exemplare davon.

Vor meiner Abreise gab es auch genug zu tun, sodaß ich nicht zum schreiben kam; Victor‘s Brief sende ich Dir also heute mit ein. 4 Er kam wohl nicht gerade als ein Enttäuschter zurück, und ob er gerade Orplid 5 gesucht hat, möchte ich auch bezweifeln, dazu ist er viel zu praktisch eingestellt und ganz der Enkel seines Großvaters „Don Aron“, 6 wie er sich ausdrückt. Die Arbeit, die er in Chile vorgefunden hat, dürfte nur – lucrativer sein, als die in Palästina. 7 Ich hege alle schwesterlichen Gefühle für unseren Bruder Victor, aber ich glaube, um ihn brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, er steht fest mit beiden Füssen auf dem Boden der Wirklichkeit und ist ganz auf das Materielle eingestellt.

{2} Von der armen Klara kann ich Euch leider nichts Erfreulicheres mitteilen; sie ist wohl allein und nimmt auch etwas zu; aber sie hat wohl Mann und Kind ganz vergessen und lebt nur in der Welt ihrer Wahnvorstellungen. Zeitweise ist sie so laut und aufgeregt, wütet gegen sich selbst, indem sie sich die Haare rauft und das Gesicht zerkratzt, sodaß man ihr mitunter die Zwangsjacke anlegen muß. Das ist ensetzlich traurig und die Hoffnung auf Heilung ist auf den Nullpunkt gesunken. Mit meiner Bemerkung über Oskar wollte ich nur zum Ausdruck bringen, daß ich mich wundern muß, mit welcher Ruhe, Geduld und Selbstbeherrschung er das alles trägt. 8 Es bleibt dem Armen ja auch nichts anderes übrig. Ab 1. Jänner wird er eine kleinere Wohnung haben, man will die Sachen erhalten, ein Fünkchen Hoffnung glimmt ja doch immer wieder auf. –

Unsere Reise war wunderschön; 9 Turnau, Prag, Salzburg, Innsbruck, über Riva nach Gardone am Gardasee, S. Vigilia, Isola di Garda, über Salo, Sirmione nach Desenzano, von dort nach Verona, meine Liebe, die ich heuer zum 2tenmale sah. Zurück über Brenner im tiefen Schnee, nach Innsbruck, Linz, Prag, Aussig.

[left margin, sideways:] Ich freue mich mit Euerem Ruhm und sende Euch von uns allen herzlichste Grüße. Wie nie im Leben bedauere ich, daß ich von Musik nichts verstehe. [right margin, sideways:] So sehr ich mich auf mein Heim freute, ich kann in diesem dicken Nebel nicht atmen. Den 2ten Briefbogen vermied ich, weil Victors Brief dick ist, das ginge nicht in einem Umschlag. [top margin, upside down:] Bitte an meine Adresse zurück.


Eure
[signed:] Rosa

© Transcription Ian Bent, 2024


Aussig, November 13, 1933


My dear ones, 1

My most cordial thanks for your delightful and detailed report. 2 Following my return, I found more than enough to keep me busy, and won’t be able to read your article in the periodical 3 until I can find some peace and quiet. Am I to return the periodical? I assume you must have other copies of it.

Even before my departure there was so much to do that I didn’t get round to writing. I am therefore inclosing Victor’s letter for you today. 4 He really didn’t come over quite as a disenchanted man; and I rather doubt if he has been in search of Orplid 5 ; he is far too practically minded for that, and entirely the grandchild of his grandfather, “Don Aron,” 6 as he puts it himself. The work that he found in Chile can only have been more lucrative than that in Palestine. 7 I cherish all my sisterly feelings for our brother Victor, but I do not believe we need to fret over him: he is firmly grounded in reality and is wholly materially minded.

{2} As for poor Klara: sadly, I can find nothing encouraging to say. She is putting on a little weight, but she has utterly forgotten her husband and child, and lives entirely in the world of her hallucinations. At times, she is so loud and agitated, raging against herself, tearing her hair out and scratching her face, that she has occasionally to be put in a straightjacket. It is dreadfully sad, and any hope of recovery has evaporated. With my remark about Oskar, I wanted only to express my amazement at the calm, patience and self-control with which he bears it all. 8 There is indeed nothing otherwise left for the poor man. From January 1, he will have a small apartment. He keeps going: there is still definitely a faint glimmer of hope in his mind. –

Our trip was glorious: 9 Turnau, Prague, Salzburg, Innsbruck, via Riva to Gardone on the Gardasee, Sancta Vigilia, Isola di Garda via Salo, Sirmione to Desenzano, from there to Verona, my pride and joy, which I saw for the second time this year. Back over the Brenner Pass in deep snow to Innsbruck, Linz, Prague, and Aussig.

[left margin, sideways:] I rejoice at your fame, and send you most heartfelt greetings from us all. I regret, like nothing else in life, that I understand nothing about music. [right margin, sideways:] Happy though I am to be back in my own home, I can’t breathe in this thick fog. I have foregone the second folded sheet because Victor’s letter is thick and wouldn’t fit in the envelope. [top margin, upside down:] Please return it to my address.


Your
[signed:] Rosa

© Translation Ian Bent, 2024


Aussig, 13. November 33.


Meine Lieben, 1

für Eueren so lieben, ausführlichen Bericht 2 meinen herzlichsten Dank; nach meiner Rückkehr habe ich genug Beschäftigung vorgefunden und muß den Artikel in der Zeitschrift 3 erst noch mit Ruhe und Mute zuende lesen. Soll ich die Zeitschrift zurücksenden, ich nehme an, Ihr habet noch Exemplare davon.

Vor meiner Abreise gab es auch genug zu tun, sodaß ich nicht zum schreiben kam; Victor‘s Brief sende ich Dir also heute mit ein. 4 Er kam wohl nicht gerade als ein Enttäuschter zurück, und ob er gerade Orplid 5 gesucht hat, möchte ich auch bezweifeln, dazu ist er viel zu praktisch eingestellt und ganz der Enkel seines Großvaters „Don Aron“, 6 wie er sich ausdrückt. Die Arbeit, die er in Chile vorgefunden hat, dürfte nur – lucrativer sein, als die in Palästina. 7 Ich hege alle schwesterlichen Gefühle für unseren Bruder Victor, aber ich glaube, um ihn brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, er steht fest mit beiden Füssen auf dem Boden der Wirklichkeit und ist ganz auf das Materielle eingestellt.

{2} Von der armen Klara kann ich Euch leider nichts Erfreulicheres mitteilen; sie ist wohl allein und nimmt auch etwas zu; aber sie hat wohl Mann und Kind ganz vergessen und lebt nur in der Welt ihrer Wahnvorstellungen. Zeitweise ist sie so laut und aufgeregt, wütet gegen sich selbst, indem sie sich die Haare rauft und das Gesicht zerkratzt, sodaß man ihr mitunter die Zwangsjacke anlegen muß. Das ist ensetzlich traurig und die Hoffnung auf Heilung ist auf den Nullpunkt gesunken. Mit meiner Bemerkung über Oskar wollte ich nur zum Ausdruck bringen, daß ich mich wundern muß, mit welcher Ruhe, Geduld und Selbstbeherrschung er das alles trägt. 8 Es bleibt dem Armen ja auch nichts anderes übrig. Ab 1. Jänner wird er eine kleinere Wohnung haben, man will die Sachen erhalten, ein Fünkchen Hoffnung glimmt ja doch immer wieder auf. –

Unsere Reise war wunderschön; 9 Turnau, Prag, Salzburg, Innsbruck, über Riva nach Gardone am Gardasee, S. Vigilia, Isola di Garda, über Salo, Sirmione nach Desenzano, von dort nach Verona, meine Liebe, die ich heuer zum 2tenmale sah. Zurück über Brenner im tiefen Schnee, nach Innsbruck, Linz, Prag, Aussig.

[left margin, sideways:] Ich freue mich mit Euerem Ruhm und sende Euch von uns allen herzlichste Grüße. Wie nie im Leben bedauere ich, daß ich von Musik nichts verstehe. [right margin, sideways:] So sehr ich mich auf mein Heim freute, ich kann in diesem dicken Nebel nicht atmen. Den 2ten Briefbogen vermied ich, weil Victors Brief dick ist, das ginge nicht in einem Umschlag. [top margin, upside down:] Bitte an meine Adresse zurück.


Eure
[signed:] Rosa

© Transcription Ian Bent, 2024


Aussig, November 13, 1933


My dear ones, 1

My most cordial thanks for your delightful and detailed report. 2 Following my return, I found more than enough to keep me busy, and won’t be able to read your article in the periodical 3 until I can find some peace and quiet. Am I to return the periodical? I assume you must have other copies of it.

Even before my departure there was so much to do that I didn’t get round to writing. I am therefore inclosing Victor’s letter for you today. 4 He really didn’t come over quite as a disenchanted man; and I rather doubt if he has been in search of Orplid 5 ; he is far too practically minded for that, and entirely the grandchild of his grandfather, “Don Aron,” 6 as he puts it himself. The work that he found in Chile can only have been more lucrative than that in Palestine. 7 I cherish all my sisterly feelings for our brother Victor, but I do not believe we need to fret over him: he is firmly grounded in reality and is wholly materially minded.

{2} As for poor Klara: sadly, I can find nothing encouraging to say. She is putting on a little weight, but she has utterly forgotten her husband and child, and lives entirely in the world of her hallucinations. At times, she is so loud and agitated, raging against herself, tearing her hair out and scratching her face, that she has occasionally to be put in a straightjacket. It is dreadfully sad, and any hope of recovery has evaporated. With my remark about Oskar, I wanted only to express my amazement at the calm, patience and self-control with which he bears it all. 8 There is indeed nothing otherwise left for the poor man. From January 1, he will have a small apartment. He keeps going: there is still definitely a faint glimmer of hope in his mind. –

Our trip was glorious: 9 Turnau, Prague, Salzburg, Innsbruck, via Riva to Gardone on the Gardasee, Sancta Vigilia, Isola di Garda via Salo, Sirmione to Desenzano, from there to Verona, my pride and joy, which I saw for the second time this year. Back over the Brenner Pass in deep snow to Innsbruck, Linz, Prague, and Aussig.

[left margin, sideways:] I rejoice at your fame, and send you most heartfelt greetings from us all. I regret, like nothing else in life, that I understand nothing about music. [right margin, sideways:] Happy though I am to be back in my own home, I can’t breathe in this thick fog. I have foregone the second folded sheet because Victor’s letter is thick and wouldn’t fit in the envelope. [top margin, upside down:] Please return it to my address.


Your
[signed:] Rosa

© Translation Ian Bent, 2024

Footnotes

1 Receipt of this letter is not recorded in Heinrich’s diary. — The paragraph-break at the fourth paragraph is editorial, and the marginalia have been incorporated into the final paragraph rather than treated as a postscript.

2 Writing of this letter is recorded in Heinrich’s diary for November 5 and 10, 1933: “An Weil (Br.): angeschrieben!? — An Weil (Br. abgeschlossen): über den Juden Schenker.” (“To Weil (letter): are we in his bad books!? — To Weil (the letter concluded): concerning Schenker the Jew.”).

3 Most likely Heinrich Schenker, "Erinnerungen an Brahms," Der Kunstwart 46 (May 1933), 475-82. It is presumably to this that Klara refers indirectly in the final paragraph.

4 Victor’s letter is not among his papers: according to Heinrich’s diary, Jeanette forwarded it on to Lotte Hatschek on December 20, 1933, who passed it on to Hella Hatschek in the following week.

5 Orplid: allusion to Eduard Mörike’s poem “Gesang Wyla’s,” set to music by Hugo Wolf, beginning: “Du bist Orplid, mein Land! / Das ferne leuchtet …“. Orplid was a magical island, invented by Mörike in his school days.

6 The Schiff siblings’ maternal grandfather was Aron (Aaron) Strasser.

7 Victor had lived in Palestine between 1930 and 1933.

8 She must be referring to her description of Oskar in OJ 14/10, [4], January 9, 1933: “it’s remarkable how the poor man keeps himself under control, chats with us quite calmly and innocently, and tries to hide his sorrow from us.”

9 This trip was already summarily described by Arnold Weill in OJ 14/10, [9], October 14, 1933.

Commentary

Format
2p letter, holograph (Rosa) salutation, message (continues into margins), valediction, and signature
Provenance
Schenker, Heinrich (document date-1935)--Schenker, Jeanette (1934-c.1942)--Ratz, Erwin (c.1942-c.1945)--Jonas, Oswald (c.1945-1978)--University of California, Riverside (1978--)
Rights Holder
Heirs of Arnold and Rosa Weil; deemed to be in the public domain
License
Attempts to identify the heirs of Arnold and Rosa Weil have proved unsuccessful. This document is deemed to be in the public domain. Any claim to intellectual rights should be addressed to Schenker Documents Online, Faculty of Music, University of Cambridge, at schenkercorrespondence[at]mus(dot)cam(dot)ac(dot)uk.

Digital version created: 2024-07-24
Last updated: 2010-03-11